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Das Luzifer Evangelium

Das Luzifer Evangelium

Titel: Das Luzifer Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Egeland
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spähten wachsam und gefühllos über die farblose Landschaft.
    »Giovanni! Also wirklich! Es ist gleich zehn vor halb!«
    Er schlug die Augen auf. Das Morgenlicht schien durch die dünnen Gardinen. Luciana stand an seinem Bett, schön, verführerisch und frisch geduscht.
    »Tut mir leid«, grunzte er.
    »Komm schon, steh auf!«
    »Ich wünsche dir auch einen guten Morgen.«
    »Du Langschläfer!«
    Er stützte sich auf seinen Ellenbogen. Bella, der etwas rundliche Beagle, lag am Fußende auf seinem Bett. Silvana sang im Bad.
    »Du?«, sagte Luciana.
    »Hm.«
    »Ich habe heute ein Treffen in L’Aquila.«
    »Davon hast du gar nichts gesagt.«
    »Ich habe es ja auch erst gestern erfahren.«
    »Was machst du da?«
    »Rate mal.«
    Er richtete sich auf und kratzte sich am Bauch und der behaarten Brust. Bella gähnte.
    »Ich komme erst spät nach Hause«, sagte Luciana.
    »Wie spät?«
    »Schwer zu sagen. Spät. Du weißt schon. Aber wir können zusammen frühstücken.«
    Sie kochten Tee, deckten den Frühstückstisch und aßen weich gekochte Eier, Marmelade und Käse. Bella lag unter dem Küchentisch und malträtierte einen Gummiknochen, der jedes Mal quietschte, wenn sie hineinbiss. Luciana war schweigsam und abwesend. Silvana strich das weiche Eigelb auf ihren Toast. Wie ihre Mutter war sie schüchtern und zurückhaltend. So anders bin ich ja auch nicht, dachte Giovanni und rührte sich einen Löffel Zucker in den Tee.
    »Also, was ist in L’Aquila los?«, fragte er.
    »Eine Immobilienüberschreibung.«
    »Etwas Spannendes?«
    »Nur ein Gewerbegebäude.«
    »Nimmst du den Zug?«
    »Ich fahre mit Enrico.«
    Silvana sah ihre Eltern an. Giovanni lächelte sie an, und sie erwiderte sein Lächeln. Ihr Blick war so erwachsen, sie war so reif für ihr Alter, dabei war sie erst zehn Jahre alt und hatte noch den schmächtigen Körper eines Kindes. Manchmal sagte sie Dinge, die ihn richtiggehend verblüfften. Als wäre sie bereits eine erwachsene Frau. Zwischendurch ertappte Giovanni sich bei dem Gedanken, ob sie besessen sein könnte. Eine dumme, irrationale Furcht, die ihren Ursprung in seiner Forschung und seinen Albträumen hatte. Er war sich dessen natürlich bewusst, aber trotzdem meldete sich dieser Gedanke immer wieder. Silvana lebte in ihrer eigenen Welt, mit ihrem Fantasiefreund Lo-Lo, mit dem sie lange Gespräche führte. Erwachsene Gespräche. Im Grunde genommen müsste er überlegen, ob er mal mit ihr zum Psychiater gehen sollte. Aber Silvana fehlte nichts, nicht auf diese Art und Weise. Wenn es auch dunkle Ecken in ihrer Seele gab, die er nicht verstand. Ihre Stimmung konnte von einer Sekunde zur anderen kippen. Dann war der Blick des kleinen Mädchens plötzlich erfüllt von etwas Undefinierbarem, das ihm Angst machte. Als sähe sie alles, verstünde alles, wüsste alles. Trotzdem. Besessen … wovon? Von wem? Von einem der Dämonen seiner nächtlichen Albträume?
    Mach dich nicht lächerlich, Giovanni . Vielleicht sollte er sein Fachgebiet wechseln. Er hatte seine Besessenheit zu seinem Fachgebiet gemacht, und das sagte einiges über seine eigene Psyche aus.
    Unten auf der Straße dröhnte ein Moped ohne Auspuff vorbei.
    »Und was machst du heute?«, fragte Luciana, ohne ihn anzusehen. Ihr Blick folgte den Wirbeln, die entstanden, als sie ihren Tee umrührte. Er dachte: Warum tut sie so interessiert? »Hast du viele Vorlesungen?«, fuhr sie fort, als er ihr die Antwort schuldig blieb.
    »Nur zwei.«
    »Im Kühlschrank sind noch Lammkoteletts.«
    »Das hört sich gut an. Sollen wir auf dich warten?«
    »Nein, esst nur. Es wird spät werden.«
    »Ja, das sagtest du.«
    Als Giovanni acht Jahre alt war, hatte er Typhus bekommen. Fast eine Woche lang hatte er in dem kleinen Krankenhaus in einem komaähnlichen Schlaf gelegen. Die Ärzte hatten die Eltern darüber unterrichtet, dass ihr Sohn an einer ernsten Variante der Krankheit litt, die im schlimmsten Fall seinen Tod bedeuten könne. Sie hatten an seinem Bett gewacht, bis er wieder gesund war. Vater und Mutter, beide gläubige Katholiken, hatten ihre Gemeinde dazu gebracht, für ihren Sohn zu beten. Als die Gebete nicht helfen wollten und sie fürchteten, ihren Sohn an den Gott zu verlieren, den sie immer angebetet hatten, riefen sie einen Pfarrer, der Orationen gebetet und ihn mit Weihwasser gesegnet hatte. Giovanni hatte nichts von alledem mitbekommen. Sein fiebergeplagtes Hirn hatte ihn in eine Vorstellung der Hölle entführt, die er aus der ersten Reihe

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