Das Luzifer Evangelium
Dunkelheit der Seligkeit vorzieht.«
Ich blies in meinen Kaffee, der immer noch so heiß war, dass man sich die Lippen daran verbrannte. Monique hatte sich zurückgelehnt, sie hörte strickend zu und warf dabei nicht einen Blick auf die zwei eifrig klappernden Nadeln.
»Vor zweitausend Jahren geschah das Wunder, dass Gottes Sohn auf die Welt kam«, verkündete Aldo Lombardi. »Sie wissen beide, welche Bedeutung Jesus Christus hatte. Die Worte und Taten, die er im Laufe seiner begrenzten Zeit auf dieser Erde mit uns teilte, leben weiter in uns und mit uns. Er gab uns eine neue Weltordnung, eine neue Religion, eine neue Möglichkeit, die alten Religionen zu verstehen.«
Aldo Lombardi klang wie ein Missionar, der einen Zweifler auf den rechten Weg bringen wollte.
»Die Bibel handelt von Gott und dem Weg des Lichts. Satan und seine Dämonen sind Statisten in der Schrift des Lichts und der Barmherzigkeit. Sie sind ein Maßstab für das Böse und für Gottes Barmherzigkeit. Aber dass Satan und den gefallenen Engeln kein zentraler Platz in der Bibel eingeräumt wird, bedeutet nicht, dass es nicht andere Propheten gibt, die Satans Geschichte und Botschaft niedergeschrieben haben. Mit der gleichen Gewissenhaftigkeit wie die Verfasser und Propheten der Bibel hat eine Legion von Boten der Finsternis die Geschichte des Bösen niedergeschrieben, Satans Botschaft, die Verherrlichung der Finsternis. Diese Schriftrollen wurden wohlweislich versteckt, weil die Priester die ketzerischen Texte zerstört hätten, wenn sie sie in die Finger bekommen hätten. So wie es in frühesten Zeiten verschiedene Versionen und Exemplare der Bibel gab – mehr oder weniger präzise Abschriften früherer Texte oder mündlicher Überlieferungen –, lagen auch zahlreiche Versionen satanischer Texte vor. Aber eine nach der anderen wurde aufgespürt und vernichtet. Als die Kirchenväter die Schriften der Bibel in einem autoritativen Kanon zusammenfassten, existierte nur noch ein einziges Exemplar jenes Textes, der heute unter dem Namen Luzifers Evangelium bekannt ist.«
Ich schaute zu Monique, die ihre Stellung wechselte, ohne meinen Blick zu erwidern.
»Aber wieso sollte ausgerechnet ein Text wie Luzifers Evangelium in unserer heutigen Zeit ernst genommen werden?«, fragte ich. »Was ist so gefährlich daran?«
»Manch einer mag sagen, eine satanische Bibel ist per se gefährlich, weil sie radikalen und verlorenen Seelen einen Fokus oder eine Richtung gibt, eine eindeutige, den Egoismus verherrlichende Botschaft, den sie über die Nächstenliebe stellt, das Böse über das Gute, die Finsternis über das Licht. Was wären das Judentum und das Christentum ohne die Bibel? Oder der Islam ohne den Koran?«
»Ich ahne ein Aber ?«
»Wir wissen über Luzifers Evangelium nur, dass der Kodex aus unterschiedlichen Elementen besteht; Textpassagen, Allegorien und Fabeln, Lobgesänge, Weissagungen und Offenbarungen. Darüber hinaus enthält er magische und für uns unverständliche Symbole, in denen sich aber möglicherweise die Antworten auf viele Fragen des Lebens und des Mysteriums des Todes verbergen. Es wurde sogar ein Kalender in die Symbole hineininterpretiert. Sagt Ihnen der Mythos um die Jahreszahl 2012 etwas?«
Wie ein Schulmädchen streckte Monique die Hand in die Luft und schrieb etwas auf ihren Block. »Das Ende der Welt .«
»Auf Texten und alten Weissagungen basierend – von biblischen Prophezeiungen bis zu Überlieferungen aus der Maya-Kultur – wird in diesem Jahr etwas Epochales geschehen. Aber was? Die einen nennen es Armageddon, andere Weltuntergang oder Auferstehung Jesu.«
»Eine neue Erkenntnis«, schrieb Monique.
»Nach dem legendarischen Maya-Kalender wird in diesem Jahr ein neuer Zyklus eingeleitet, eine größere Abwandlung der Weltordnung. Manche sagen voraus, dass die magnetischen Pole ihre Plätze tauschen, andere, dass die Erdkugel sich in die entgegengesetzte Richtung drehen wird. Oder dass der Planet Nibiru, der dreitausendsechshunderteinundsechzig Jahre für die Umrundung der Sonne braucht, scharf an der Erde vorbeischrappt. Vielleicht öffnet sich auch eine Passage zwischen parallelen Dimensionen. Kurz und gut, das Jahr 2012 ist ein magisches Jahr, und Fantasten der unterschiedlichsten Sorte wetteifern darum, die abgedrehtesten Theorien und fantasievollsten Prophezeiungen in Umlauf zu bringen.«
»Und Luzifers Evangelium beinhaltet eine weitere Theorie?«
»In einer Schrift des Kirchenhistorikers Sozomenos aus dem
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