Das Luzifer Evangelium
Schauspiel, dessen einziges Ziel es war, mich zu überzeugen, er stünde auf unserer Seite?
»Warum ist denen so viel daran gelegen, sich Luzifers Evangelium unter den Nagel zu reißen?«, fragte ich. »Sie haben etwas von Prophezeiungen gesagt … einer Sekte …«
»Ich schlage vor, dass wir darauf später eingehen. Sie sind aufgewühlt und verunsichert. Das verstehe ich gut. Aber alles, was hier momentan geschieht, lässt sich erklären.« Er trank einen Schluck Kaffee und stellte die Tasse auf den Tisch. »Jetzt beruhigen wir uns erst einmal, auf dass Sie all das, was wir besprochen haben und auch die heutigen Geschehnisse verdauen können. Vielleicht hilft Ihnen ein kleines Nickerchen, wenn Sie bei dieser Hitze schlafen können? Danach werde ich Ihnen, soweit es in meiner Macht steht, die Hintergründe der Ereignisse der letzten Wochen und auch des heutigen Tages erläutern.«
4
Bevor ich mich hinlegte, rief ich Thrainn in Island an. Er erzählte mir, das Manuskript sei bis auf Weiteres auf Eis gelegt worden, weil in der Nähe von Skálholt eine bisher unbekannte Version der Njåls Saga gefunden worden war, die alle Ressourcen des Instituts in Anspruch nahm.
Danach telefonierte ich mit Kommissar Henrichsen in Oslo. Zum ersten Mal klang der Polizist optimistisch. Mit einem Computerprogramm des Sicherheitsdienstes waren die Hotelregister der Region Oslo und die Passagierlisten der Fluggesellschaften abgeglichen worden – und es war ihnen gelungen, dabei zehn Männer zu identifizieren, die mit drei unterschiedlichen Fluggesellschaften am Mittwoch den 20. Mai nach Oslo gekommen waren. Diese Männer hatten in fünf verschiedenen Hotels übernachtet und Norwegen am Sonntag den 7. Juni und Montag den 8.Juni wieder verlassen – zwei mit SAS nach Kopenhagen, vier mit British Airways nach London und weitere vier mit der Lufthansa nach München. Abgesehen von ihrem Reisemuster war diesen Männern gemein, dass sie mit falschen Identitäten eingereist waren und sich ihre Spur nach der Ankunft an ihren jeweiligen Bestimmungsorten verlor. »Damit haben wir auf jeden Fall etwas, womit wir arbeiten können«, sagte Henrichsen. Womit wir arbeiten können war sein Mantra geworden, eine Illusion des Fortschritts. Er wollte einfach nicht erkennen, dass jeder kleine Schritt nach vorn ihn nur noch tiefer in die Verwirrung beförderte.
Als ich langsam eindämmerte, träumte ich wieder von der fremdartigen Landschaft und der großen Sonne. Der Traum dauerte nur wenige Sekunden. Aber die seltsame Atmosphäre vibrierte in meinem Körper nach, als Monique mich eine Stunde später vorsichtig weckte.
XIX : Satans Sohn
1
Die Abendsonne versank hinter den Silhouetten der römischen Dächer und Kirchenkuppeln, als Aldo Lombardi, Monique und ich uns wieder um den runden Esstisch im Wohnzimmer versammelten. Monique hatte Kreuzworträtsel gelöst, in einer Zeitschrift, die sie von zu Hause mitgebracht hatte. Die Ereignisse des Tages waren so unwirklich wie ein Traum oder etwas, das man in einem Film gesehen hatte. Eine Taube – wahrscheinlich dieselbe wie vorhin – trippelte über das Geländer des französischen Balkons. Der Professor war unterwegs gewesen, um Kaffee zu besorgen. Monique zog ihren Kräutertee vor.
Nachdem Aldo Lombardi sich ein paarmal geräuspert hatte, begann er zu erzählen.
»Für einen Nichtgläubigen wie Sie, Bjørn, müssen die religiösen Dimensionen des Daseins sinnlos erscheinen. Das kann ich verstehen. Aber der Glaube an Gott – und an Satan – basiert auf der Überzeugung von Millionen von Menschen und das über Tausende von Jahren. Propheten, Priester und Philosophen haben nach einem Gottesverständnis gesucht, das wir Christen – und was das betrifft, auch die Juden und Muslime – heute als Fundament unseres Glaubens betrachten.«
»So wie die Wikinger Odin und die Griechen Zeus verstanden haben.«
»Glaube ist die Anerkennung von Gottes Existenz. Die Religionen setzen das Ganze in ein System. Glaube ist eine innere Flamme, eine Überzeugung. Um das, was ich Ihnen jetzt erzählen werde, zu verstehen, müssen Sie versuchen, sich in den Gemütszustand eines glaubenden Menschen zu versetzen. Tun Sie so, wenigstens für eine kurze Zeitspanne, als glaubten Sie, dass Gott existiert und der allmächtige Herrscher des Universums ist. Versuchen Sie, sich vorzustellen, dass Gott sich mit guten Helfern umgibt, mit Engeln, und dass einer dieser Engel sich gegen seinen Herren aufgelehnt hat und die
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