Das Luzifer Evangelium
anbetet. Ihre Anhänger glauben an Gott, für sie ist Gott aber nur ein Drittel ihrer göttlichen Einheit.
Die morbiden Praktiken und Riten der Sekte – die Blutopfer, Weihrauch und Nacktheit umfassen – gehen auf die primitive Vorstellung zurück, dass es zwischen den Menschen und den Göttern eine Verbindung gibt. Der Weihrauch hat dabei die gleiche Symbolik wie in der römisch-katholischen Kirche. Bereits seit der Antike sind die Gläubigen der Ansicht, der Weihrauch heilige Orte und Handlungen. Wie eine symbolische Opferung trägt der Weihrauch die Gebete zu Gott. Schon in den Büchern Mose wird Gottes Wohlbehagen über den Weihrauch erwähnt. Die Nacktheit hängt mit dem Streben der Menschen nach Reinheit zusammen, nach dem Grundlegenden, Ursprünglichen. Auch Adam und Eva waren bis zum Sündenfall nackt. Die Dr˘aculsângeer entkleiden ihre Opfer, weil sie glauben, dass diese nach ihrem Tod den Weg zu Gott antreten, und zwar so, wie sie erschaffen wurden, nackt und rein.
Ich blieb eine Weile sitzen und dachte über die Tatsache nach, dass eben der Mann, der so leidenschaftslos den Extremismus dieser Sekte geschildert hatte, ein Opfer derselben geworden war. Und dass es ihren Anhängern um ein Haar gelungen wäre, auch mich ausbluten zu lassen.
Ich blätterte in der Abhandlung Blut und Heiligkeit: Anthropologie und Metaphysik* , in der erklärt wurde, auf welche Weise die Drăculsângeer ihre Blutopfer als heilige Handlung betrachteten. Indem sie Körper und Blut trennten, war die Opferung für sie eine Reinigung von Körper und Seele. Diese Gedanken hatten auch den rumänischen Fürsten Vlad Ţepeş beeinflusst, der Bram Stoker zu seinem Buch Dracula inspirierte, und die Gräfin Elisabeth Báthory, die Hunderte von Jungfrauen tötete, um in ihrem Blut zu baden. Die Vorstellung von der heiligen, wundertätigen Kraft des Blutes ist weder neu noch ungewöhnlich. Wie der Verfasser aufzeigt, trinken viele Christen ganz selbstverständlich bei jedem Abendmahl das Blut Christi. Für die Zeugen Jehovas ist das Blut so heilig, dass viele eher sterben würden, als sich einer medizinischen Bluttransfusion zu unterziehen. In einer Passage über die Wahrheitsdroge Sodium penthotal entdeckte ich eine kuriose Referenz zu der Annahme der Drăculsângeer, dass Blutverlust einen medizinischen Kurzschluss in der Hirnrinde auslöst, was heißt, dass ein Sterbender nicht mehr in der Lage ist zu lügen. Ebenso merkwürdig war auch die Kopie einer Nachricht aus der International Herald Tribune vom 20. November 2007:
* Eberhard-Karls-Universität Tübingen, 1974
Kommandoangriff auf Mönchskloster
Sfântu Gheorghe, Romania, Nov. 20. (Reuters).
Das Mönchskloster Sfânt sânge, Hauptsitz der religiösen Sekte der Drăculsângeer, war, wie von rumänischen Behörden gemeldet, am Mittwoch letzter Woche Ziel eines kommandoartigen Überfalls. Das Kloster liegt 30 bis 40 Kilometer entfernt von der Stadt Sfântu Gheorghe in den Karpaten im rumänischen Transsilvanien.
Die Sekte hat versucht, die Geschehnisse zu vertuschen, und weigert sich, mit der lokalen Polizei zusammenzuarbeiten.
Es ist unklar, wer das Kloster angegriffen hat und welches Ziel die Angreifer verfolgt haben. Angeblich ist niemand verletzt worden. Laut Zeugenaussagen sollen gegen 2.30 Uhr in der Nacht 20 bis 25 paramilitärische Kommandosoldaten in Tarnanzügen in das Kloster eingedrungen sein und es bereits wenige Minuten später wieder verlassen haben.
Laut unbestätigter Aussagen haben die Soldaten eine Reliquie von religiösem und historischem Wert gestohlen.
Niemand im Kloster ist bereit, sich zu den Vorfällen zu äußern.
Ich glaubte, etwa eine halbe Stunde in der Bibliothek gesessen und gelesen zu haben, aber als ich aufblickte, stellte ich fest, dass bereits zweieinhalb Stunden vergangen waren. Außerdem sah ich direkt vor mir ein bekanntes Gesicht. Der Mann war ebenso überrascht wie ich, allerdings wusste ich nicht gleich, wo ich ihn einordnen sollte. Erst als er die Brille abnahm, erkannte ich Vittorio Tasso, den Semiotiker, den ich in Aldo Lombardis Büro getroffen hatte. Er schien über unsere Begegnung nicht übermäßig erfreut zu sein, als wären wir alte Kollegen, die in einer zwielichtigen Oben-Ohne-Bar aufeinanderstießen. Wir wechselten ein paar Worte, bevor er weitermusste – er suchte ein Christogramm auf einem Schild, der einmal dem ostgotischen König Theoderich dem Großen gehört haben sollte. Ich selbst gab die Bücher ab, die ich mir
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