Das Luzifer Evangelium

schreibkundigen Anhänger zahlreiche Textpassagen gefunden, die sie dahingehend deuten, dass Allah den Beistand der Rechtgläubigen braucht, um das Jüngste Gericht einzuberufen.«
    »Nicht sonderlich überraschend. Vom Islam gibt es etwa so viele Deutungen wie Mullahs.«
    »Es gibt noch mehr Verbindungslinien. Im fünften Jahrhundert schufen die Drăculsăngeer den Begriff sanctus bellum , heiliger Krieg, der eine Parallele im islamischen Dschihad hat. Jetzt haben diese beide extremen Gruppierungen, die Drăculsăngeer und Yawn al’Qijamah, sich gefunden. Höllische Kooperationspartner, sozusagen! Sie sind überzeugt, dass das Jüngste Gericht nicht einfach irgendwann stattfindet, aus einer Laune der Götter heraus. Sie wollen die Prophezeiung erfüllen. Im Auftrag der Götter.«
    »Wie? Mithilfe von Terroranschlägen?«
    »Das ist wahrscheinlich. Aber welches ausgesuchte Ziel für einen Terroranschlag könnte einen Weltkrieg auslösen? Ein Bombenanschlag auf den Felsendom? Das UN -Hauptquartier? Eine Ölplattform? Bei der Verleihung des Friedensnobelpreises in Oslo? Bei einer Sportveranstaltung wie den Olympischen Spielen, der Fußball- WM oder dem Superbowl? Ein chemischer oder radioaktiver Angriff auf eine westliche Großstadt? Eine dirty bomb auf New York?«
    Ein paar endlose Sekunden sah ich eine Grausamkeit nach der anderen an meinem inneren Auge vorbeiziehen. Mark sagte keinen Ton.
    »Sie sind plötzlich so still«, stellte er fest.
    »Mir geht etwas durch den Kopf.«
    »Was?«
    »Alles, was sie mir da erzählen, muss doch streng geheim sein. Top secret .«
    »Selbstverständlich.«
    »Und trotzdem vertrauen Sie mir diese Geheimnisse an. Einfach so. Warum?«
    Mark sah mich erstaunt an. »Weil CC mich darum gebeten hat.«
    2
    »Haben Sie Mark gebeten, sich mit mir zu treffen?«
    CC sah mich mit erschöpftem Blick an und seufzte müde. Er hatte die Jalousien seines Büros heruntergelassen. Das grelle Vormittagslicht wurde durch die Schummerbeleuchtung einer Schreibtischlampe ersetzt.
    »Ja«, antwortete er. »Etwas nicht in Ordnung?«
    »Wieso haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie das Treffen arrangiert haben?«
    Er lachte leise. »Glauben Sie, Sie hätten sich hinter meinem Rücken mit Mark treffen können? Und dass er Ihnen Geheimnisse anvertraut, ohne dass ich etwas davon weiß?«
    Durch die Wand hörte ich ein Handy piepsen, endlos. CC sah blass und müde aus. Viel zu lange hatte ich CC als möglichen Widersacher und potentiellen Feind betrachtet, der nur darauf aus war, mich hinters Licht zu führen und mir die Handschrift abzuluchsen. Was, wenn mein Misstrauen nur meinen pathologischen Neurosen entsprang? Hatte ich zu irgendeinem Zeitpunkt den Gedanken zugelassen, CC könne möglicherweise ein ehrlicher und aufrichtiger Mensch sein?
    »Sie sehen erschöpft aus«, sagte ich.
    »Danke für Ihr Mitgefühl. Alles in Ordnung.«
    »Ich weiß, wie die Mönche gestorben sind.«
    »Wirklich?«
    »Sie wissen es doch sicher auch längst?«
    »Das Ergebnis der Obduktionen dürfte jeden Augenblick eintreffen. Wie sieht Ihre Theorie aus?«
    »Selbstmord.«
    »Das glaube ich auch. Die Frage ist nur, wie sie es bewerkstelligt haben.«
    Jemand klopfte so fest gegen die Tür, dass man meinen konnte, er wollte sie einschlagen. Mit der bloßen Faust.
    »Treten Sie ein, Dick!«, rief CC .
    Der Sicherheitschef des Luzifer-Projekts hieß Dick Stone und machte seinem Namen alle Ehre. Er war so breitschultrig und muskelbepackt, dass ich mir Sorgen machte, die Türöffnung könnte zu eng für ihn sein und Herr Stone würde den Rahmen und Teile der Wand mitreißen.
    »Was wissen wir?«, fragte CC .
    »Selbstmord.«
    »Wie?«
    »Mit den Zähnen.«
    »Mit den Zähnen?«
    »Sie haben sich die Pulsadern am Handgelenk aufgebissen.«
    »Gegenseitig?«
    »Nein, jeder sich selbst.«
    Stille.
    Ich schüttelte mich und versuchte, die Bilder beiseitezuschieben, die sich mir aufdrängten.
    »Um Himmels willen …«, sagte CC .
    »Ist es möglich, sich selber totzubeißen?«, sagte ich.
    Dick Stone stand reglos da, als ginge ihn die Frage nichts an.
    »Sie haben sich geopfert«, sagte CC . »Als Märtyrer. Sanctus bellum . Sie haben sich für die Seligkeit geopfert.«
    » Sir? «, sagte Dick ungeduldig, als könnte er es gar nicht erwarten, zurück in den Obduktionssaal zu kommen, um die Verletzungen genauer in Augenschein zu nehmen.
    Nachdem Dick uns verlassen hatte, saß ich da und musterte CC . Am Ende platzte ich mit der Vermutung heraus,