Das mach' ich doch mit links: Roman (German Edition)
nehmen, worunter sie eine gründliche Prüfung der Räumlichkeiten als auch des Inhalts der Schränke verstand.
»An dem Zustand der Wäsche kann man sofort die Qualität einer Hausfrau erkennen«, hatte sie gesagt und die Knöpfe an den beiden obersten Bettbezügen nachgezählt.
»Machst du das immer so, wenn du irgendwo zu Besuch bist?«
»Natürlich nur, wenn sich eine unauffällige Gelegenheit dazu bietet.« Sehr befriedigt schloss Frau Antonie die Schranktür. »Du würdest dich wundern, wie oft Frau Schulze-Hagen Tischtücher mit ausgefransten Säumen auflegt. Dabei war ihr Mann immerhin Regierungsrat.«
»So viel ich weiß, ist sie halb blind.«
»Das behauptet sie! Aber du solltest mal sehen, wie geschickt sie immer beim Canasta mogelt.«
Tinchen trat ungeduldig von einem Bein aufs andere. »Musst du denn unbedingt jetzt Inventur machen? Wenn du schon deine sträfliche Neugier nicht unterdrücken kannst, dann verschieb sie wenigstens bis morgen. Ich hab’ noch was anderes zu tun.«
Etwas pikiert wandte sich Frau Antonie zur Tür. »Vielleicht könntest du mir wenigstens noch die Küche zeigen, damit ich mir endlich meinen Tee aufbrühen kann. Die Gastfreundschaft scheint in diesem Haus nicht sehr ausgeprägt zu sein.«
Tinchen dirigierte ihre Mutter Richtung Treppe. »Du hast wohl übersehen, dass du die Gastgeberin permanent mit Beschlag belegst.«
»Ich denke, ihr hat eine Köchin?«
»Ja, aber nicht für Malventee.«
Frau Antonie wurde also in der Küche abgestellt, wo sie mitten in die Vorbereitungen zum Abendessen hineinplatzte und sich sofort in ihrem Element sah. Martha brummelte etwas vor sich hin, was man mit viel Phantasie und gutem Willen als Begrüßung auslegen konnte, und Frau Antonie war klug genug, auf weitere Förmlichkeiten zu verzichten. Als Tinchen die Tür schloss, hörte sie ihre Mutter sagen:
»Wie ich sehe, verwenden Sie auch saure Sahne. Da weiß man wenigstens, was man hat. Diese neumodische Crème fraîche kommt mir nämlich auch nicht ins Haus. Ich hab’ erst gestern zu meinem Mann gesagt …«
Tinchen machte sich auf die Suche nach Florian. Der hatte in weiser Erkenntnis, dass auch ein kleiner Umzug viel zu viel Trubel mit sich bringt, einen Zufluchtsort gesucht und im Kaminzimmer gefunden. Da nicht zu befürchten war, dass der geheiligte Raum des eigentlichen Hausherrn zu einem wenn auch nur vorübergehenden Abstellplatz für Regenschirme und Pappkartons entwürdigt werden könnte, wähnte sich Florian hinter der geschlossenen Tür ziemlich sicher. Seinen Schwiegervater hatte er mit der Begründung, ein anständiger Schluck würde den Kreislauf wieder in Schwung bringen, gleichfalls aus der Schusslinie gebracht und dessen Protest, man könne doch den Frauen nicht das ganze Schlachtfeld allein überlassen, mit einer Handbewegung weggewischt. »Wir stehen da doch bloß rum und machen alles verkehrt. Außerdem ist genug Jungvolk da, das kann auch mal mit zupacken.«
Nur zu gerne hatte sich Herr Pabst von der Notwendigkeit einer geistigen Stärkung überzeugen lassen und war befriedigt in den tiefsten Ledersessel gesunken. Da saß er immer noch, als Karsten auf der Suche nach einem Glas vorsichtig durch die Tür linste. Er hatte den zum Aquarienbewohner degradierten Herrn Schmitt einstweilen in den Keller gebracht, bei dieser Gelegenheit das Flaschenregal und darin wiederum einen 79er Pommard entdeckt und beschlossen, diesen edlen Tropfen in irgendeinem stillen Winkel zu verkosten. Berufsmäßigen Möbelträgern stand Freibier zu, er war nur Amateur, hatte dank der umgekippten Bücherkiste ein angeschlagenes Schienbein und nicht mehr die geringste Lust, Kartons mit unbekanntem Inhalt durch die Gegend zu schleppen. Rüdiger und Melanie waren ja auch noch da!
Letztere saß allerdings mit Julia auf dem Dachboden, wo sie gemeinsam die alte Spielzeugkiste durchkramten, während Rüdiger vom Partykeller aus mit seinem Freund Benjamin telefonierte und das Für und Wider der geplanten Emigration aus dem Elternhaus erörterte. Da sie erst beim Für angekommen waren, ließ sich ein Ende des Gespräches noch nicht absehen.
Infolgedessen sah sich Tinchen in der Diele noch immer dem gleichen Chaos gegenüber, das sich bei der turbulenten Ankunft ihrer Lieben gebildet und von dem sie gehofft hatte, es wäre inzwischen wenigstens einem geordneten Durcheinander gewichen.
»Jetzt langt’s mir aber!«, schnaubte sie wütend, griff nach dem kupfernen Schirmständer und warf ihn mit
Weitere Kostenlose Bücher