Das mach' ich doch mit links: Roman (German Edition)
abgeholt. Axel hat seit einem Vierteljahr den Führerschein und seit sechs Wochen ein Auto. Anfangs haben sie mich ja mitgenommen, aber seitdem ich diesem Lüstling vor versammelter Mannschaft eine gekleistert habe, bin ich natürlich Luft für ihn. Soll ich mich von dem vielleicht betatschen lassen, nur damit ich bequemer zur Schule komme?« Sie klemmte sich die Mappe unter den Arm, drückte Tinchen einen Kuss auf die Wange und jagte los. »Zum Essen bin ich nicht da, heute haben wir Computer-AG.«
»Aha«, sagte Tinchen nur und sank auf den nächsten Stuhl. Es würde wohl eine Weile dauern, bis sie dem morgendlichen Auftrieb mit der notwendigen Gelassenheit begegnen konnte, obwohl es damals, als Karsten noch zur Schule ging und sie selbst jeden Tag pünktlich in der Redaktion sein musste, zu Hause auch nicht ruhiger zugegangen war. Ist alles nur Gewohnheitssache und eine Frage der Organisation, redete sie sich gut zu, also kein Grund zur Panik. Wenn ich bloß wüsste, wo ich jetzt eine Tasse Kaffee herkriege!
Zweifelnd besah sie das Monstrum von Maschine, mit dem man allem Anschein nach auch noch Karotten schnitzeln und Schuhe putzen konnte, verzichtete auf die Benutzung dieses Apparats und suchte Pulverkaffee. Nacheinander öffnete sie die Schranktüren, entdeckte von Kirschblütentee bis Hirschhornsalz so ziemlich alles, was sie in ihrer eigenen Küche noch nie gehabt hatte, konnte aber nirgends einen Kaffeekrümel finden. »Saftladen, elender!«
»Wenn Sie dieses Haus damit meinen, gebe ich Ihnen völlig Recht! Guten Morgen, Frau Bender.« Unbemerkt war Martha in die Küche gekommen und hatte schmunzelnd zugesehen, wie Tinchen den Inhalt der Schränke durchforstet hatte. Erschrocken drehte sie sich um.
»Guten Morgen, Marthchen. Entschuldigen Sie bitte, dass ich hier so einfach herumkrame, aber ich will ja bloß ein bisschen Kaffee haben.«
»Den finden Sie auch nicht.« Martha öffnete ein Klappfach, das ursprünglich als Brotbehälter gedacht war, und holte eine vakuumverschlossene Dose heraus.
»Im Brotfach habe ich nun wirklich nicht nachgesehen.«
»Warum sollten Sie auch? Jahrelang habe ich das Brot dort aufbewahrt, aber neulich kam die Frau Doktor mit diesem Sarg da hinten an.«
Sie zeigte auf einen länglichen Metallbehälter, der große Ähnlichkeit mit einem Werkzeugkasten hatte, wie ihn Installateure benutzen.
»Das ist ein elektrisch belüfteter, in einzelne Fächer aufgeteilter, hygienisch den Mindestanforderungen entsprechender Brotwagen!«
»Ein was?«
»Wahrscheinlich heißt er so, weil er Räder drunter hat, sonst könnte man ihn ja gar nicht bewegen. Seitdem wir ihn benutzen, schmeckt jedes Brot nach Konservendose.«
»Warum schmeißen Sie ihn dann nicht raus?«
»Genau das werde ich jetzt auch tun!«, sagte Martha grimmig und zog den Stecker aus der Buchse. »Den kann Clemens nachher in den Keller bringen und neben dem anderen elektrischen Kram abstellen. Wozu brauche ich eine Teigmaschine? Ich hab doch zwei Arme.« Sie seufzte. »Früher wusste ich genau, wann ein Ei weich war und wann schnittfest. Jetzt habe ich einen Eierkocher, einen Messbecher für das Wasser, brauche eine Brille, weil ich sonst die Zahlen nicht lesen kann, und wenn ich gerade die Hände im Spülwasser habe, geht der Wecker los, und die Eier sind trotzdem hart. Ich hab’ das Ding jetzt auch weggestellt, und die Frau Doktor hat’s noch gar nicht gemerkt!«
»Kann sie denn selbst mit diesen Apparaten umgehen?«
Mit einer wegwerfenden Handbewegung sagte Martha: »Die doch nicht! Die setzt doch nur einen Fuß in die Küche, wenn sie ihren Kontrollgang macht. Aber darüber bin ich ganz froh. Würde sie dauernd hier runterkommen, hätte ich schon längst gekündigt.« Plötzlich schien ihr aufzugehen, mit wem sie eigentlich sprach. »Das hätte ich vielleicht nicht sagen dürfen, immerhin ist die Frau Doktor eine Verwandte von Ihnen. Ich verdiene ja auch mein Brot hier. Bezahlt werde ich wirklich nicht schlecht, aber ich habe es manchmal auch nicht leicht.«
Spontan umarmte Tinchen die alte Frau. »Das weiß ich, Marthchen, und ich versichere Ihnen, dass sich jetzt einiges ändern wird. Vor allen Dingen bin ich nicht Frau Bender, sondern Tina oder meinethalben auch Tinchen, und jetzt kochen Sie uns erst mal einen anständigen Kaffee, damit wir uns zusammensetzen und die Arbeitsteilung besprechen können.«
Der extra starke Kaffee brachte ihre Lebensgeister wieder auf Trab und weckte ihren Oppositionsgeist.
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