Das mach' ich doch mit links: Roman (German Edition)
Wette ein, dass du dich hier nicht mehr sehen lässt, bevor die Luft wieder rein ist.«
»Gewonnen! Aber Auntie Claire wird meine Abwesenheit nur begrüßen. Sie hat mir noch immer nicht verziehen, dass ich ihr bei ihrem vorletzten Besuch die Eidechse in die Handtasche gesteckt habe.«
»Schade, dass Krokodile da nicht reinpassen.« Melanie stand auf und fing an, die Malutensilien zusammenzuräumen. »Darauf hab’ ich jetzt keinen Bock mehr.«
»Ich auch nicht.« Mit ein paar flotten Pinselstrichen vollendete Rüdiger sein Werk und hielt es Beifall heischend in die Höhe. Die Karikatur auf dem Ei zeigte ein hageres Frauengesicht mit Rattzähnen und einem Schwall rosa Löckchen. »Eine gewisse Ähnlichkeit ist doch vorhanden, nicht wahr?«
»Ja, die Haare hast du prima getroffen«, bestätigte Urban. Vorsichtig legte Rüdiger das Ei auf den Kühlschrank. »Das werde ich ihr auf den Nachttisch stellen.«
»Das wirst du schön bleiben lassen!«, warnte Florian. »Ein beleidigtes Tante Klärchen ist noch viel schwerer zu ertragen als ein normal temperiertes.«
»Lieber in den sauren Apfel beißen als einen auf die Birne kriegen!«, behauptete Urban. »Was sind schon drei Wochen?«
»Einundzwanzig Tage!« Wütend knüllte Melanie die bekleckerten Zeitungsbogen zusammen und stopfte sie in den Mülleimer. »Frohe Ostern.«
»Apropos Ostern: Zwei Gänse unterhalten sich. Fragt die eine: ›Glaubst du an ein Weiterleben nach Weihnachten?‹«
»Du nervst!« Melanie griff nach dem erstbesten Gegenstand und warf ihn in Rüdigers Richtung. Das Porträt von Tante Klärchen klatschte an die Tür und fiel zu Boden.
»Bravo!«, sagte Florian, »das war Freuds Geschoss!«
Während der ganzen Auseinandersetzung hatte Tinchen kein Wort gesagt, aber nachdem das Jungvolk die Küche verlassen hatte, wagte sie einen leisen Protest: »Müssen wir uns wirklich jetzt schon mit Logierbesuch herumschlagen? Meine Eltern bleiben ja auch während der Feiertage zu Hause, weil sie meinen, wir müssten uns erst einmal alle aneinander gewöhnen und den ganzen Haushalt neu organisieren, und nun rückt uns diese verschrobene Tante auf die Bude, die ich nicht mal kenne.« Sie stellte sich auf Zehenspitzen und gab Florian einen Kuss auf die Nase. »Kannst du uns diesen Besuch nicht ersparen? Mit ein bisschen diplomatischem Geschick müsste das doch möglich sein.«
»Du und dein Zuckerwatteoptimismus!«, entgegnete er verbittert. »Wenn du bloß mit dem Zaunpfahl winkst, hast du bei Tante Klärchen keinen Erfolg. Bei ihr helfen keine dezenten Anspielungen, die reagiert nur auf die Holzhammermethode, und damit sollte man bei Erbtanten vorsichtig sein.« Er stand schon wieder vor dem Kalender. »Du musst auch berücksichtigen, was uns erspart bleibt. Komm mal her!«
Tinchen stellte sich neben ihn und verfolgte seinen Zeigefinger, mit dem er auf die einzelnen Monate stippte. »Im Mai will sie nach Tübingen und im Juli zu Tante Gertrud nach Bad Schwalbach. Mit der hat sie sich aber schon als Kind nicht vertragen, und an diesem Zustand hat sich bis heute nicht viel geändert. Länger als vierzehn Tage halten die beiden es nie zusammen aus. Die letzten auf ihrer Liste wären dann wir. So, und nun rechne mal nach!«
Tinchen rechnete und kam zu dem erschreckenden Ergebnis, dass Tante Klärchen günstigenfalls drei, schlimmstenfalls vier oder gar fünf Wochen in Düsseldorf zu verbleiben gedachte. »Also schön, lass sie kommen«, seufzte sie ergeben, »vorausgesetzt, dass sie nicht umdisponiert. Nach Düsseldorf kann sie ja nun nicht mehr, also wäre es doch nahe liegend, wenn sie am Ende ihrer Rundreise noch mal hier aufkreuzt.«
»O nein, das wird sie nicht«, sagte Florian bestimmt. »Dafür garantiere ich. Ich werde sie schon in Trab halten, und das ist das Schlimmste, was man ihr antun kann.«
»Wie alt ist sie eigentlich?«
»Ganz genau weiß das nur mein Vater. Sie selbst behauptet, zweiundsechzig zu sein, aber das ist sie vor ein paar Jahren auch schon gewesen, also wird sie wohl auf die Siebzig zu gehen.«
»Genau das, was ich jetzt gebrauchen kann! Womöglich noch gebrechlich, so dass man sie die Treppe raufschieben muss. Tagsüber braucht sie eine Wolldecke und nachts ein Töpfchen unterm Bett.«
»Du wirst dich wundern!«, prophezeite Florian.
Sie wunderte sich wirklich. Die aschblonde, sehr jugendliche Dame im weißen Hosenanzug, die so leichtfüßig aus dem Wagen stieg, konnte höchstens fünfzig und auf keinen Fall Tante
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