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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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hast. Bilde den Sinn für ein nobles und uneigennütziges Wirken, für Wohltun und für wahre Humanität immer wieder und bei jeder Gelegenheit und halte die Ausübung der Tugend für die wahre Religion. Lass Dich, wenn Du bitter verkannt und verleumdet und beneidet wirst, nicht irre machen in Deinen Grundsätzen. Ach, es ist ein schwerer Kampf und doch besteht darin die wahre Tugend. – Ich bleibe Dir Dein ratender und helfender Freund. Friedrich Wieck.«
    Es war still im Zimmer. Auch Clemens war wohl eingeschlafen.
    »Mein großes Mädchen!«, sagte Friedrich Wieck versonnen. »Mein kleiner Russe.«
    Da lächelte Clara. Sie schlang die Arme um den Hals ihres Vaters und legte ihre Wange an die seine.

Blick ins Paradies
1
    Es kam Clara fast schon wie eine Gesetzmäßigkeit vor: Immer wenn Friedrich Wieck eine seiner wochenlangen Geschäftsreisen unternahm, war Clementine gerade guter Hoffnung, und Clara und Robert Schumann kamen einander wieder näher. Die Dienstboten behaupteten bereits, die ausgedehnten »Klavierreisen« des Herrn seien umgekehrt Fluchten vor dem unsteten Verhalten, das Clementine in den letzten Wochen vor den Geburten entwickelte. Was allerdings Robert Schumann betraf, so lege es dieser offenkundig darauf an, von der Abwesenheit des strengen Vaters zu profitieren. Da auch die Stiefmutter durch ihren Zustand abgelenkt sei, habe der »feine Herr«, wie ihn der Diener August titulierte, freie Bahn bei dem dummen jungen Ding, das nicht merke, was für einem Filou es da auf den Leim gehe.
    Dabei hätte Friedrich Wieck seine Reisepläne diesmal fast schon aufgeben müssen, weil der Andrang von Schülern am Logier’schen Institut ständig zunahm, sodass auf die Anwesenheit des Leiters kaum noch verzichtet werden konnte. Friedrich Wieck meisterte den Engpass jedoch, indem er zwei zusätzliche Lehrkräfte einstellte, die er persönlich auf seine Methode einschwor und in einer kurzen, aber intensiven Ausbildung derart drillte und bedrohte, dass er sicher sein konnte, keiner von ihnen würde es wagen, im Unterricht eigene Wege einzuschlagen. Zusätzlich sorgte er dafür, dass ihm während seiner Reise die Lehrer abwechselnd von allen Vorkommnissen berichten würden. Dafür wollte er ihnen einen Plan mit seiner genauen Reiseroute zurücklassen,in dem sämtliche Geschäftspartner mit ihren Adressen verzeichnet waren. So würden ihn bei seiner jeweiligen Ankunft immer schon die Rapporte von zu Hause erwarten.
    Die Lehrer stöhnten über die ständige Überwachung aus der Ferne und die zusätzliche Arbeit durch die Berichte. Friedrich Wieck aber war zufrieden und nahm geschmeichelt die Komplimente seines neuen Freundes Konsul List entgegen, der die Wieck’schen Führungsmethoden »fast schon amerikanisch, aber jedenfalls sehr, sehr fortschrittlich« nannte.
    Bis es so weit war, musste jedoch noch eine zusätzliche Verzögerung hingenommen werden: Ein neuer Hausgast hatte sich angekündigt und sollte die beiden Räume beziehen, die früher Robert Schumann bewohnt hatte. »Es ist eine Anfrage, die ich nicht ablehnen möchte«, sagte Friedrich Wieck zu Clementine, die ohnedies schon kaum noch ein Wort mit ihm sprach. »Kost und Logis, dazu noch täglich ein mehrstündiger Unterricht in Klavier und Gesang. Womöglich auch noch Kompositionsstunden! Dafür kann man die eigenen Reisepläne schon für ein paar Wochen zurückstellen, um persönliche Unterrichtskonzepte zu erarbeiten und einzuleiten.«
    Der neue Hausgast war eine junge Frau, eine steinreiche Erbin, wie in Leipzig sogleich – fast schon lüstern – kolportiert wurde: Ernestine von Fricken, Tochter eines Freiherrn aus Böhmen. Eine hoch begabte Pianistin sei sie, hatte ihr Vater versichert, als er zum ersten Mal mit Friedrich Wieck in brieflichen Kontakt getreten war. Eigentlich sei ihre Ausbildung bereits abgeschlossen. Es gehe nur noch darum, ihre Hände zu kräftigen und dem strahlenden Brillanten den letzten künstlerischen Schliff zu verleihen.
    Als Friedrich Wieck diese Worte las, hielt er kurz inne. Ein Déjà-vu überkam ihn. Doch er ließ nicht zu, dass die Erinnerung an einen ganz ähnlichen Brief vor vielen, sehr vielen Jahren an die Oberfläche seiner Gedanken drang. Hoch begabte Pianistin? Ausbildung eigentlich bereits abgeschlossen? Nur noch die Hände kräftigen? Nun, ein Vater, der seine Tochter liebte, mochte vieles denken und sagen. Ihm, Friedrich Wieck als Lehrer, oblages, das Talent und den Ausbildungsstand der jungen Künstlerin

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