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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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einzuschätzen und für die nötige Weiterbildung zu sorgen. Schluss. Punkt.
    Dann traf sie ein. Durch ein zusätzliches Trinkgeld, über dessen Höhe sich Friedrich Wieck so seine Gedanken machte, hatte sie erreicht, dass die Postkutsche unmittelbar vor dem Eingang des Wieck’schen Hauses anhielt. Der Kutscher – er war noch jung und offensichtlich nicht einmal betrunken – sprang ab und öffnete unerwartet galant die Tür des Gefährts. Zuerst zeigte sich nur eine raschelnde Masse von weißen Spitzenunterröcken und mitten darin zwei zierliche rote Stiefelchen, die auf den Gehweg herunterhüpften, als hätten sie ein eigenes Leben.
    »Ernestine von Fricken!«, stellte sich das dazugehörige Mädchen vor und eilte mit ausgestreckten Armen auf Friedrich Wieck zu, der am Eingang wartete. »Sie wissen schon.«
    Wieder erschrak Friedrich Wieck. Er wich zurück. Einen Augenblick lang fürchtete er, das junge Mädchen wolle ihn umarmen. Doch rechtzeitig blieb es stehen und pustete sich eine goldblonde Locke aus der erhitzten Stirn. »Sie können sich nicht vorstellen, Herr Wieck, wie stickig es da drinnen war.« Nun griff sie tatsächlich nach Friedrich Wiecks Hand und schüttelte sie temperamentvoll. »Wie bin ich froh, endlich hier zu sein! Ich möchte alles lernen, was Sie mir beibringen können. Mein Vater wünschte eigentlich, dass ich zu Hummel nach Weimar gehe, aber ich wollte immer nur zu Ihnen. Es ist kaum zu fassen, was Sie aus Ihrer eigenen Tochter gemacht haben. So wie sie, so will ich auch werden.« Sie lachte. »Gut, dass die Honorarforderungen von Hummel so unverschämt hoch waren! Papa war ganz wütend und sagte, er lasse sich von einem aufgeblasenen Klavierlehrer doch nicht das Fell über die Ohren ziehen.«
    Friedrich Wieck runzelte die Stirn. Clara, die die letzten Worte des Mädchens gehört hatte, fürchtete schon ein Zerwürfnis, bevor der Unterricht überhaupt begonnen hatte. So begrüßte sie eilig die neue Schülerin, von der sie bereits wusste, dass sie achtzehn Jahre alt war.
    »Du musst Clara sein!«, rief Ernestine. Auch sie hatte sich informiert. »Ich weiß, dass du fünfzehn bist. Ganz sicher werden wir Freundinnen. Ich darf dich doch noch duzen, oder? Ich habe auch nichts dagegen, wenn du es mir gegenüber ebenfalls tust. Wir in Böhmen sind offene, herzliche Menschen. Das Zeremoniell überlassen wir lieber den feinen Herrschaften in Wien.« Sie blickte zum Himmel, der sich inzwischen verdunkelt hatte. Am Horizont tauchten ein paar schwarze Wolken auf. »April!«, rief Ernestine fröhlich, als geschehe das alles nur ihr zu Ehren. »Mein allerliebster Monat. Nie langweilig. Immer etwas Neues.«
    Von nun an veränderte sich das Leben in der Grimmaischen Gasse. Wie ein Kugelblitz zischte Ernestine durch die Räume, schreckte alle auf und feuerte sie an, scherzte und lachte, kritisierte und lobte. »Die ist ja noch schlimmer als der Herr!«, beklagte sich der Diener August und weigerte sich, Ernestines Anweisungen auszuführen. Sie sei schließlich nur ein Hausgast hier und nicht die Herrin. Wenn sie sich bedienen lassen wolle, solle sie doch eine Zofe einstellen. Er habe jedenfalls nicht die Absicht, seinen Ruf als Mann aufs Spiel zu setzen, indem er sich von ihr zum Kurzwarenladen beordern ließ, um Spitzen für ihren Morgenmantel zu besorgen, oder in die Konditorei, um Kuchen einzukaufen, weil ihr die Kost im Hause Wieck zu karg erschien. »Man sollte sie dorthin zurückschicken, woher sie gekommen ist«, murrte er. »Habt ihr übrigens gewusst, dass der Ort, aus dem sie kommt, Asch heißt?« Und er berichtete genüsslich, dass er mit einem Kutscher aus Böhmen gesprochen habe, der selbst aus eben jenem Asch stammte und ihm erzählte, man nenne die betreffende junge Dame dort die »Fricken-Tini« und rechne damit, sie werde einen vermögenden, ortsansässigen Gutsbesitzer heiraten, wenn sie sich erst in Leipzig die Finger verbrannt habe und sich ihr angebliches Künstlertalent als Luftblase erwies. Ein bisschen Klaviergeklimper reiche doch nicht aus, um die Welt zu erobern! Außerdem habe es in Asch noch nie jemanden gegeben, der es bis zum Künstler gebracht hatte. Warum also ausgerechnetdie Fricken-Tini, das verrückte Huhn, das man nicht einmal zu Hause ernst nahm?
    Auch die anderen Dienstboten versagten Ernestine ihren Respekt. Friedrich Wieck allerdings gestand sich schon nach den ersten Unterrichtsstunden widerwillig ein, dass da eine talentierte Musikerin vor ihm am Klavier saß,

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