Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
Vom Netzwerk:
begreifen, dass die Mode seiner Generation über die göttliche Genialität einfach hinweggefegt war. Nun aber traten ausgerechnet drei der jungen Berühmtheiten an, das fast schon vergessene Werk zu neuem Leben zu erwecken. Sérieux würde es wohl sein, aber hoffentlich nicht trop sérieux.
    Da Felix Mendelssohn ein Mann der Bühne war, der seine Pappenheimer kannte, gab es danach sein »Capriccio«, gespielt von der hübschen Clara Wieck – wie ein Teufelchen natürlich –, und danach deren eigenes Klavierkonzert, das man für »begabt« einschätzte, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, weil die Komponistin ein Kind der eigenen Stadt war und es doch nicht sein konnte, dass ein Mädchen aus der Grimmaischen Gasse Weltformat besaß.
    Es war ein erhebender Abend, darüber herrschte Einigkeit. Ein wenig verwirrend zwar und nicht so gemütlich, wie man es gewohnt war. Doch irgendwie hatte man als Kunstfreund durch den neuen Musikdirektor wohl ein höheres Niveau erreicht. Im Grunde konnte man zufrieden sein und stolz auf sich selbst unddie eigene Stadt, auf die andere Städte bald mit Neid blicken würden.
    Auch die Presse lieferte ausführliche Berichte über das Extrakonzert, vor allem die »Neue Zeitschrift für Musik« Robert Schumanns, der in poetischen »Schwärmbriefen« seiner Begeisterung keine Fesseln anlegte. Ganz offen nannte er die Solisten des Tripelkonzerts mit ihren Davidsbündlernamen: Clara als Zilia, Mendelssohn als Felix Meritis, den verdient Glücklichen, Rakemann als Walt und sich selbst, den Kritiker, als Eusebius: »Lacht nur nicht beim Konzert für drei Klaviere vom alten Sebastian, das Zilia mit Meritis und dem sanften Walt gespielt ... Da wird einem recht klar, welcher Lump man ist.« Vielleicht erinnerte er sich in diesem Augenblick schmerzlich an die Zeit, in der er selbst auch noch in der Lage gewesen wäre, an einem solchen Konzert teilzunehmen.
    Clara aber freute sich, als sie diese Zeilen las, vor allem, weil sie hoffte, dass ihr Vater dem Rezensenten danach wieder mit mehr Wohlwollen begegnen würde.
    Manchmal dachte Clara, die Welt um sie herum habe sich in letzter Zeit grundlegend verändert. Dabei hätte sie nicht sagen können, was eigentlich anders geworden war. Wie ein fleißiges kleines Uhrwerk lief der Alltag in Clementines straff geführtem Haushalt ab. Jeden Morgen zur gleichen Minute stand man auf, nahm stets das gleiche frugale Frühstück zu sich und ging dann den jeweiligen Pflichten nach, die sich tageweise kaum voneinander unterschieden. Selbst auf Reisen stellte sich eine unverrückbare Routine ein, zu der die seligen Augenblicke des Erfolgs ebenso gehörten wie der Ärger über widrige Umstände und einsichtslose Behörden, die mit ihrer Einmischung und Verzögerung kostbare Zeit stahlen und Unruhe auslösten, die an den Nerven zehrte und die künstlerische Empfindung beeinträchtigte.
    Was ebenfalls fast immer gleich blieb, waren die täglichen Spaziergänge, aus denen Clara ihre Kraft bezog, auf denen sie ihre Gedanken ordnete und den Ereignissen ihres Lebens den gebührendenPlatz zuwies. Auf manchen Stationen ihrer Tourneen kam es vor, dass alles ungewiss erschien und Friedrich Wieck sich nur noch in aggressivem Streitton äußerte. Auch Clara, um die es ja ging, konnte sich dann der Hektik nicht entziehen. Danach klopfte ihr Herz vor Ärger und ihre Hände zitterten. Das war der Augenblick, in dem sie sich auf den Weg durch die fremden Straßen machte. Von Anfang an merkte sie sich unbewusst den einen oder anderen Bezugspunkt, um wieder zurückzufinden. Darüber hinaus aber überließ sie sich ganz dem Rhythmus ihrer schnellen Schritte. Immer tiefer atmete sie dann, immer gleichmäßiger. Sie blickte keinem Entgegenkommenden ins Gesicht, sondern bezog sich nur auf sich selbst. Sie fühlte die Wärme der Sonne auf ihrem Nacken, den Wind in ihrem Haar oder die versprühten Tropfen, die trotz des Regenschirms ihre Wangen benetzten. Für den Zauber einer Landschaft oder die Schönheit und Harmonie von Gebäuden und Gärten interessierte sie sich kaum. Ihr Blick auf die Welt war der, den ihr Vater sie gelehrt hatte.
    Lange Runden schlug sie ein, doch immer fand sie mühelos zurück, gewohnt, sich im Freien zu bewegen und in einer unbekannten Umgebung. »Meine kleine Brieftaube!«, sagte Friedrich Wieck, als es ihm wieder einmal gelungen war, alle Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen und er sich fast schon sorgte, weil Clara noch immer nicht zurück war. »Man

Weitere Kostenlose Bücher