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Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Witwen.
    Dieser Friedhelm also lungerte während der Chorprobe immerzu in meiner Nähe herum, obwohl ich doch nicht nur vergeben, sondern auch noch mit der Kleinen unterwegs war. Ich hatte sie mir mit Hilfe einer langen Stoffbahn um den Bauch gewickelt, so dass ich mich einigermaßen frei bewegen konnte. Obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, was ihm an einer jungen Mutter wie mir gefiel, sonnte ich mich in seiner Aufmerksamkeit. Friedhelm machte mir schöne Komplimente und sah mich verzückt an, beides Dinge, die Hannes schon länger nicht mehr getan hatte. Ich sehnte bereits die nächste Chorprobe herbei. Und ich fühlte mich schäbig, weil ich Friedhelm bereitwillig gewähren ließ und ihm dadurch womöglich falsche Hoffnungen machte.
    »Der hat dich ja fast mit Blicken aufgefressen«, stellte Christel nach der Probe fest. Es klang wie ein Vorwurf.
    »Was kann ich dafür?« Am liebsten hätte ich hinzugefügt: »Wenn ich hübscher aussehe als du.« Es war das erste Mal seit unserer Abreise aus dem Hunsrück, dass ich so etwas überhaupt dachte. Ich hatte mich nicht mehr attraktiv gefunden, hatte gar keinen Gedanken an mein Äußeres verschwendet, bis Friedhelm mir zu verstehen gab, dass ich ihm gefiel. Komisch, erst jetzt begann ich auch Vergleiche anzustellen. Vorher war mir Christels Aussehen nie weiter aufgefallen, weder positiv noch negativ. Sie war von durchschnittlicher Statur, hatte dunkelblondes Haar und ein Gesicht, das einigermaßen gefällig, aber nicht schön war. Jetzt, da meine Eitelkeit wieder geweckt worden war, betrachtete ich sie genauer. Erstmals bemerkte ich, dass ihre Augen zu eng zusammenstanden und dass ihre Hände klobig waren.
    »Erzähl mir doch nichts, Klärchen, du ermunterst ihn doch. Du hast ihm deinen Busen ja geradewegs unter die Nase gehalten.« – »Das stimmt doch gar nicht!« Ich ärgerte mich über Christels Unterstellung. Bestimmt war sie neidisch auf meine üppigen Brüste, die seit Hildes Geburt ziemlich an Größe zugelegt hatten.
    Bevor das Ganze zu einem Streit ausarten konnte, trat Franz zu uns. Er sang ebenfalls im Chor, im Gegensatz zu Hannes. »So, ihr zwei Hübschen, dann wollen wir mal wieder die Heimfahrt antreten.«
    Ich war mit Christel und Franz auf deren Karren mitgefahren, denn zu den Lohmeiers war es weit. Ich fand es schade, so bald schon aufbrechen zu müssen. Zu gerne hätte ich noch mit den anderen geredet und Lotte Lohmeyers Einladung auf ein Gläschen angenommen. Aber ich sah ein, dass es vernünftiger war, schon heimzufahren. Im Winter brach die Nacht auch hier früh herein – nicht gerade um vier Uhr nachmittags, wie in Deutschland, aber doch gegen sechs am Abend. So spät wäre es bald. Ich verabschiedete mich wortreich von den anderen Chormitgliedern, genoss das Lob für meine schöne Stimme, winkte Friedhelm zu und lief dann mehr zum Karren, als dass ich ging, vor lauter Angst, der Abschied von dieser netten, geselligen Runde könne mir sonst noch schwerer fallen. Auf die anderen musste es so wirken, als hätte ich es sehr eilig, heimzukommen. Aber dem war nicht so.
    Zu Hause wartete Hannes auf mich. Er rieb sich die Augen – offenbar war er am Küchentisch eingenickt.
    »Na, wie war euer Trällerstündchen?«, empfing er mich.
    »Es war wundervoll.« Als ich sah, dass er skeptisch die Brauen hob, betonte ich es noch einmal. »Doch, wirklich, es lief phantastisch. Der Garben hat einen grandiosen Bariton, und Christels Alt ist auch nicht von schlechten Eltern.«
    »Äh, apropos schlechte Eltern … gib mir doch mal die Kleine. Ihr klingelt es bestimmt noch in den Ohren. Vielleicht sollte sie zukünftig lieber bei mir bleiben, wenn du
aushäusig
bist.«
    Was nun daran so furchtbar sein sollte, dass auch ich einmal das Haus verließ, ging mir nicht in den Sinn. Es war ja nicht etwa so, als würde ich meine Pflichten vernachlässigen und mich herumtreiben. Noch viel weniger verstand ich, warum ich Hilde nicht mitnehmen sollte.
    Ich setzte ihm unsere Tochter auf den Schoß und sagte: »Hildchen war ganz friedlich. Ich glaube, die Fahrt auf dem Ochsenkarren und dann unser Gesang, das hat ihr gefallen. Außerdem kannst
du
sie ja schlecht stillen, nicht wahr? Was hättest du denn getan, wenn ich sie hiergelassen hätte und sie hungrig geworden wäre?«
    Er schüttelte den Kopf und setzte zu einer Antwort an, doch ich kam ihm zuvor. Ich war ungehalten, weil er sich so unmöglich aufführte und dann noch nicht einmal die Hühnersuppe aufgewärmt,

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