Das Mädchen am Rio Paraíso
dass man sie nicht auch dazugebeten hatte.
»Gibt es«, antwortete Teresa. »Also komm rein, du nichtsnutziges Sklavenmädchen, dann kriegst du ausnahmsweise auch einen Schluck. Aber vergiss nicht, dir die Füße ordentlich abzustreifen. Wir wollen hier drin nicht die Erde aus dem Blumenbeet liegen haben.«
Sekunden später kam Aninha in die Küche gerannt. Zwischen ihren Zehen hingen Erdklumpen, aber sie war offenbar immun gegen Teresas erboste Blicke. »Was ist denn los? Was gibt es denn Neues?«
»Menina kann sich wieder an ihren richtigen Namen erinnern. Sie heißt Clara.«
»Ooch. Und ich hab gedacht, es wär was Spannendes passiert.«
Klara konnte dem Gespräch der beiden gut folgen. Sie verstand »Menina« und »Klara«, und die gelangweilte Mimik des Dienstmädchens sprach für sich. Sie lachte laut heraus. Ja, für die einfältige Aninha war es bestimmt keine weltbewegende Neuigkeit, wenn einer seinen Namen nennen konnte, zumal es sich dabei um einen so geläufigen Namen handelte.
»Será que se trata de alguma piada?«, fragte Aninha spitz. Sie hatte sich Klara zugewandt, die natürlich die Frage nicht verstand. Doch Klara beantwortete sie mit neuerlichem Lachen. Sie prustete so laut los, dass die beiden Schwarzen sich ausnahmsweise einmal in stillem Einverständnis ansahen. Diese Deutsche, oder was auch immer sie war, musste verrückt geworden sein.
»Das ist bestimmt die Erleichterung darüber, dass ihr Gedächtnis wieder funktioniert«, diagnostizierte Teresa, um Nüchternheit bemüht.
»Oder der Weinbrand ist ihr zu Kopf gestiegen«, mutmaßte die andere.
Klara konnte ihren Anfall nicht unterbinden. Je fragender die beiden sie ansahen, desto mehr musste sie sich vor Lachen ausschütten. Sie hielt sich den Bauch und wischte sich Tränen aus den Augen. Das alles war zu grotesk. Hier saß sie mit zwei Negerinnen am Küchentisch, ganz offensichtlich fern ihrer Heimat, und stieß darauf an, dass sie Klara hieß. Wie sie hierhergelangt war, daran konnte sie sich nicht erinnern. Die Geschichten, die sie sich zusammenreimte, waren allesamt haarsträubend. Und wo mochte sie sich befinden? Auf einer Farm in Afrika? Auf einer amerikanischen Baumwollplantage? Oder sogar in einer spanischen oder portugiesischen Überseekolonie? Es musste jedenfalls sehr weit weg vom Hunsrück liegen, davon zeugten sowohl das Klima als auch die Anwesenheit von Schwarzen. Mit einem Mal hörte sie auf zu lachen. Der Gedanke, dass ihre Familie und ihre Heimat in unerreichbarer Ferne lagen, stimmte sie traurig.
»Wo bin ich hier?«, fragte sie auf Deutsch und wies dabei mit dem Arm im Kreis.
»
O que ela tem? O que é que ela quer saber?«, fragte Aninha.
»Woher soll ich das wissen. Vielleicht hat sie gefragt, wem das alles hier gehört.« Teresa blickte Klara fest in die Augen und antwortete: »Esta é a casa do Senhor Raúl.«
Klara schüttelte mit dem Kopf. Nein, über den Besitzer dieses Anwesens wollte sie nichts wissen. Wie sollte sie sich bloß verständlich machen? Dann fiel ihr plötzlich ein, dass sie durch die geöffnete Tür zum Arbeitszimmer darin einen Globus gesehen hatte. Den musste sie haben. Sie gab Teresa durch ein aufforderndes Winken zu verstehen, dass sie sie begleiten solle.
Teresa stand wortlos auf und folgte ihr. Vor dem Arbeitszimmer blieb Klara stehen. Sie traute sich nicht, dort hineinzugehen.
»Ai,que nada, o Senhor Raúl ainda está dormindo. Vamos, me mostra.« Sie zog Klara am Ärmel in den Raum hinein.
Klara deutete auf den Globus. Sie drehte ihn, fuhr mit dem Finger über die Kontinente und hob fragend die Schultern. Aber Teresa konnte ihr nicht helfen. Sie wusste nicht, wo Brasilien auf der Erdkugel zu finden war. Sie verstand allerdings die Frage und beantwortete sie: »Estamos em Porto Alegre. No Rio Grande do Sul. No Brasil.«
Erst bei dem letzten Wort gab Klara durch ein leichtes Zucken ihrer Lider zu erkennen, dass sie etwas verstanden hatte. »Brasilien?«, hakte sie nach.
»Sim, menina, Brasil.«
Es klang wie »Brasiu«, mit der Betonung auf dem »i«. Aber es konnte ja kaum etwas anderes bedeuten als »Brasilien«. Welches andere Land begann mit einer solchen Buchstabenfolge? Und alles andere passte ebenfalls dazu: das tropische Klima, die Negersklaven und der Hausherr, der mit seinem südländischen Äußeren gut und gerne portugiesischer Abstammung sein mochte. Himmel noch mal, wie war sie bloß in Brasilien gelandet?
Klara drehte den Globus und zeigte auf ihre Heimat, die
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