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Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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wie sonst, »Senhor Raúl« genannt hatte. Sie hätte gern noch mehr zu ihm gesagt, ihm ins Gewissen geredet und vor den Folgen des Gebrauchs der Pistole gewarnt, doch ihr fehlten die Worte.
    Raúl verstand auch so. »Geh aus dem Weg, Klara. Dieser Halsabschneider wird uns jetzt zurückbringen.«
    Doch der tat nichts dergleichen. Stattdessen legte er seinen Arm um Klaras Hals und nahm sie als Geisel. »Hör mir gut zu, du feiner Pinkel. Du und dein Auswandererflittchen verlasst auf der Stelle mein Boot. Wir drehen so nah ans Ufer heran, wie wir können. Dann geht ihr samt euerm Gaul und sonstigem Zeugs von Bord.«
    Der Gehilfe, der die ganze Zeit mit schreckgeweiteten Augen dem Geschehen zugesehen hatte, verstand den unausgesprochenen Befehl. Mit seiner Stange stieß er sich am Grund des Flusses ab und schob das Boot Richtung Ufer.
    Raúl kochte vor Wut, zeigte jedoch nichts davon. Wenn Klara sich da herausgehalten hätte, wären sie längst auf dem Rückweg. Für was hielt sie ihn? Für einen wild gewordenen
pistoleiro?
Für einen unbeherrschten Gaúcho, der nach Belieben Leute abknallte, die ihm im Weg standen? Herrje!
    In der aktuellen Situation blieb ihm nicht viel anderes übrig, als den Anweisungen des Bootsführers Folge zu leisten. Dem nämlich war durchaus zuzutrauen, dass er Klara etwas zuleide tat. Er hielt sie weiterhin fest in seinem Würgegriff, und Klaras Versuche, sich daraus zu befreien, wirkten geradezu lachhaft. Der Mann hatte dicke, sehnige und extrem muskulöse Arme – Ergebnis eines Lebens harter körperlicher Arbeit –, die einen ähnlichen Umfang haben mussten wie Klaras Taille.
    »Waffe fallen lassen«, herrschte der Kapitän ihn an, während er seinen Arm noch fester um Klaras Hals spannte. Raúl hörte sie keuchen. Er beabsichtigte nicht, diesen Dreckskerlen seine Pistole zu überlassen, genauso wenig aber wagte er es, nicht das zu tun, wozu er aufgefordert worden war. Er warf die Waffe in hohem Bogen über Bord.
    »So, und jetzt Abmarsch.«
    Raúl musste das Pferd mit Gewalt dazu bewegen, in das seichte Gewässer zu springen. Er schulterte ein paar Bündel sowie den Proviantkorb und stieg dann selber in das kniehohe Wasser. Dort blieb er stehen und streckte eine Hand aus, mit der er Klara behilflich sein wollte. Doch der Bootsführer, zu einem letzten grausamen Scherz aufgelegt, stieß sie einfach über die Bordkante, so dass sie beim Aufkommen hinfiel und von Kopf bis Fuß durchnässt war. Raúl half ihr aufzustehen.
    Sie wateten an Land, die Kleidung schwer vom Wasser, die Schuhe voller Schlamm, das Herz überquellend vor Wut und Hass.

[home]
27
    A m Karfreitag 1825 standen wir, wie jeden Tag, gegen 5 . 30 Uhr auf, aßen unser Frühstück aus geröstetem Maniokmehl mit Eiern, gingen auf unser Maisfeld und bestaunten das schnelle Wachstum der Pflanzen. In die Zwischenräume setzten wir Maniokstecklinge, denn die Wurzel, so war uns gesagt worden, brauchte zwölf bis achtzehn Monate, bevor sie erntereif war. Es war eine sehr harte und schweißtreibende Arbeit, und ich hatte mit meinem inzwischen ziemlich dicken Bauch große Mühe, sie überhaupt zu verrichten. Aber es half ja nichts – die Arbeit konnte nicht bis zur Niederkunft warten. Gegen Mittag gab ich auf. Ich ging zu unserer Hütte, die wir mittlerweile so weit befestigt und verschönert hatten, dass sie beinahe den Namen »Haus« verdient hätte, und begann mit den Vorbereitungen fürs Mittagessen. Da erst wurde mir klar, dass es Karfreitag war.
    Der Eintopf mit Trockenfleisch entfiel damit. Meine Religiosität war nie sehr ausgeprägt gewesen, aber am Karfreitag Fleisch zu essen wäre mir wie die schlimmste Gotteslästerung vorgekommen. Es
musste
Fisch sein. Allerdings hatten wir keinerlei Vorräte an Stockfisch – den sogenannten
bacalhau,
den einer unserer Nachbarn in größerer Menge in der Stadt besorgt und an einige der Siedler verkauft hatte, hielten sowohl Hannes als auch ich für ungenießbar –, und frischer Fisch war trotz des nahen Bachs gar so leicht auch nicht zu beschaffen.
    Angeln dauerte seine Zeit, und über die verfügten wir einfach nicht. Für die Jagd mit einem Kescher wiederum war der Bach nicht fischreich genug. Was nun?
    Ich dachte an den
jacaré,
den ich gestern beim Wasserholen erschlagen hatte – übrigens ganz ohne Hannes gegenüber ein Wort über meine Heldentat zu verlieren, denn nach drei Monaten in diesem Land hatte ich weit größere Schrecken kennengelernt als ein kleines, träges

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