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Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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standen am Bug der Schaluppe und schimpften wüst vor sich hin. Raúl und Klara standen gleichzeitig auf, um nach vorn zu gehen und nachzuschauen, was bei den beiden diese Aufregung ausgelöst hatte. Sie benötigten keine langen Erklärungen. Beide sahen sofort, was das Problem war: Ein umgestürzter Baum lag quer über dem Fluss. Das Wurzelwerk ragte zur Hälfte aus der Erde, ein Teil schien jedoch noch im Boden verankert zu sein. Die Krone des mächtigen Baums war auf dem gegenüberliegenden Ufer zwischen die dichte Vegetation gefallen und hatte dabei eine Schneise in das grüne Dach des Waldes gerissen. An den Zweigen und Ästen, die im Wasser lagen, hatte sich allerlei Treibgut gesammelt.
    Einen kleineren Stamm hätten die Männer mit vereinten Kräften vielleicht aus dem Weg räumen können. Hier jedoch war es müßig, auch nur darüber nachzudenken. Zu dritt oder sogar zu viert, mit Klaras Unterstützung, war der Baum nicht fortzuschaffen. Sie hatten weder eine Säge dabei noch anderes Arbeitsgerät, das in diesem Fall hätte nützlich sein können. Mit ein paar Seilen, Stangen oder Haken wäre es nicht getan.
    »Hab ich Ihnen doch gleich gesagt, dass der Fluss um diese Zeit nicht befahrbar ist.« Der Bootsführer sah Raúl giftig an und nahm einen Schluck aus seinem Flachmann.
    »Ich erinnere mich vor allem daran, dass Sie gesagt haben, es sei machbar.«
    »Sehen Sie ja selbst, dass es nicht so ist. Ist ja nicht meine Schuld, wenn hier Bäume umfallen.«
    »Was schlagen Sie vor?«
    Der Kapitän kratzte sich am Kopf. »Na, umdrehen, würd ich sagen.«
    »So, würden Sie? Und in Porto Alegre würden Sie mir dann bestimmt auch das Geld zurückerstatten, das Sie mir abgeknöpft haben.« Nur gut, dachte Raúl, dass er erst die Hälfte des Fahrpreises bezahlt hatte. Die andere wäre bei Ankunft fällig gewesen. Er war sich jedoch ziemlich sicher, dass der Bootsführer gewusst hatte, was sie nach halbstündiger Fahrt erwartete.
    »Sind Sie von allen guten Geistern verlassen, Mann?«, entrüstete sich der Kapitän. »Ist nicht meine Schuld, wenn’s nicht weitergeht. Wir haben jedenfalls geliefert, was Sie bezahlt haben: unsere Zeit, unsere Arbeit, das Boot. Keinen
tostão
kriegen Sie zurück. Im Gegenteil: Sie schulden mir noch die andere Hälfte vom ausgemachten Preis.«
    »Dafür, dass Sie uns hierhergebracht haben, obwohl Sie wussten, dass der Baum dort liegt?«
    »Woher hätte ich das wissen sollen, Mann?« Er nahm einen weiteren Schluck Schnaps und funkelte Raúl unter seinen zusammengewachsenen Brauen unheilvoll an.
    Klara verstand genug von dem Streit, um es mit der Angst zu bekommen. Der Kapitän schien ihr nicht die Sorte Mann zu sein, die besonders geduldig oder beherrscht war. Und Raúl gehörte sicher nicht zu denen, die einem Kampf aus dem Weg gingen.
    »Weil«, erklärte Raúl kühl, »der Baum hier schon seit mindestens einer Woche liegt. Das sagt mir die Menge des Treibguts, das sich in den Ästen verheddert hat, außerdem der Zustand der aufgeweichten Rinde.«
    »Hören Sie mir mal gut zu, Sie Klugscheißer, Sie. Wenn Sie sich so gut in der Wildnis auskennen, dann können Sie von mir aus gern auf dem Landweg weiterreisen. Oder zurückkehren. Ist ja Ihre Sache. Aber wenn Sie auf meiner Schaluppe mit zurückwollen, dann löhnen Sie, und zwar jetzt sofort.«
    »Nein.«
    »Dann runter vom Boot!«
    »Ich werde dafür sorgen, dass Sie ins Zuchthaus kommen.«
    »Sorgen Sie erst mal dafür, dass Sie es durch den Dschungel jemals wieder nach Hause schaffen.« Er stieß ein boshaftes Gelächter aus, das jedoch in dem Augenblick abrupt endete, als er Raúls Pistole sah.
    Klara blieb die Luft weg. Oh Gott, das alles war ihre Schuld! Wenn sie es nicht so eilig gehabt hätte, nach Hause zurückzukehren, wären sie jetzt nicht auf diesem verfluchten Boot und diesem Trunkenbold von Kapitän ausgeliefert. Sie musste etwas unternehmen, und zwar schleunigst. Auf keinen Fall wollte sie riskieren, dass Raúl etwas Unbedachtes tat, wofür er später würde büßen müssen. Selbstverständlich war er im Recht, daran hatte sie nicht den geringsten Zweifel. Aber wenn er ein jähzorniger Mensch war – was sie nicht so genau abschätzen konnte, da sie ihn noch nie erlebt hatte, wenn er sich aufregte –, würde er sich womöglich allein durch sein unüberlegtes Handeln ins Unrecht setzen.
    Sie stellte sich schützend vor den Bootsführer. »Nicht, Raúl!« Erst als sie es ausgesprochen hatte, merkte sie, dass sie ihn nicht,

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