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Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Krokodil. Das tote Tier müsste noch immer am Ufer liegen, und nach einem Tag war es sicher noch nicht in Verwesung begriffen. Handelte es sich bei Krokodilfleisch um Fleisch oder um Fisch? War es überhaupt essbar? Ähnelte es nicht vielmehr einem Stück Leder – wenn man von der Haut des Krokodils auf die Beschaffenheit seines Fleischs schließen durfte, lief mir nicht gerade das Wasser im Mund zusammen. Aber einen Versuch war es allemal wert.
    Ich nahm eine Leine und ging hinunter zum Bach. Der
jacaré
lag dort noch genauso, wie ich ihn zurückgelassen hatte. Ich näherte mich ihm vorsichtig, denn man konnte ja nie wissen, zu welcher Hinterlist diese Urwaldtiere fähig waren. Ich stieß ihn mit dem Fuß an, aber er rührte sich nicht. Anscheinend war er wirklich tot. Ich nahm die Leine, wickelte sie unterhalb seiner Vorderbeine um den Leib des Tieres und schleppte es dann hinauf zum Haus.
    Als es so dalag, auf dem Rücken, die kurzen, kräftigen Beine in die Luft ragend und seinen weißen Bauch schutzlos darbietend, hatte ich fast ein wenig Mitleid mit ihm. Es widerstrebte mir, den Kadaver aufzuschneiden, zu häuten und zu entbeinen. Ich war bestimmt nicht zimperlich, ich war oft bei Schlachtungen anwesend gewesen und hatte selber schon unzählige Hühner gerupft und Fische ausgenommen. Doch dieses außergewöhnliche Tier kam mir weniger wie ein Nahrungslieferant als vielmehr wie eine von Gott geschaffene Kreatur vor, die es uns Menschen nicht zusteht zu essen. Vielleicht lag es an seinem merkwürdigen Aussehen, das an so gar keines der mir bekannten Schlachttiere erinnerte, vielleicht hatte aber auch meine Schwangerschaft meine Sichtweise und meinen Appetit verändert. Blödsinn, rief ich mich zur Ordnung, wir konnten es uns hier im Busch nicht leisten, Rücksicht darauf zu nehmen, ob ein Tier lecker aussah oder nicht, Hauptsache, es machte satt.
    Ich ging ins Haus, um ein großes Messer zu holen, mit dem ich den
jacaré
aufschlitzen konnte, sowie eine Schüssel, in der sich die Innereien auffangen ließen. Ich wetzte das Messer ordentlich, denn die Haut des Krokodils schien mir sehr zäh zu sein. Dabei sah ich aus dem Fenster, obwohl die Sicht mir weiß Gott vertrauter war, als mir lieb war, und ich auch niemanden und nichts Neues zu sehen erwartete. In Ahlweiler war das ganz anders gewesen, da war immer einer aus der Familie gekommen oder gegangen, da waren Nachbarn auf der Straße zu sehen gewesen, oder man hatte den Briefträger erwartet. Hier sah ich aus dem Fenster nur Grün. Das Zuckerrohrfeld hatten wir mit etwas Abstand zum Haus angelegt, damit, wenn die Stoppeln abgebrannt werden würden, nicht gleich auch unser Heim in Flammen aufging. Ich konnte also Hannes nicht sehen, und an das Gekreuche und Gefleuche im Wald – die herumtobenden Affen, die riesenhaften Schmetterlinge, die lauthals trällernden Vögel – hatte ich mich längst gewöhnt.
    Trotzdem überkam mich plötzlich das beunruhigende Gefühl, dass mich jemand beobachtete. Es war so real, ich hätte schwören können, dass jemand da draußen im Gestrüpp saß und jeden meiner Schritte verfolgte. Ich starrte hinaus, sah jedoch nichts anderes als sattgrünes Blattwerk, auf das Licht, Schatten und Wind immer neue schillernde Muster zauberten. Das war es sicher gewesen, redete ich mir gut zu, ein im Wind wehendes Blatt oder das Glitzern der Sonne in einem Regentropfen, der trotz der Hitze noch nicht verdampft war.
    Dann war mir auf einmal, als hörte ich etwas hinter mir.
    Hastig drehte ich mich herum, sah jedoch nichts anderes als das, was auch dorthin gehörte: einen Durchgang, rechts davon zwei einfache Stühle, die an die Wand geschoben waren, links ein Holzbord an der Wand, an dessen Unterseite Haken zum Aufhängen von Töpfen und anderen Küchenutensilien angebracht waren. Obendrauf standen unsere wertvolleren Habseligkeiten, allen voran natürlich meine geliebte Porzellantänzerin, daneben unser Geschirr und die Bibel. Unter dem Bord stand der Tisch, an den wir zum Essen immer die Stühle schoben, der jedoch außerhalb der Mahlzeiten als Arbeitsfläche diente. Wir hatten zu wenig Platz in unserem Häuschen, um den Tisch, wie es sich gehörte, mitten in den Raum und die Stühle daran zu stellen.
    Nichts rührte sich.
    Alles war normal und still. Ich schüttelte den Kopf über mich selbst – jetzt sah ich schon Geister, nur um etwas Gesellschaft zu haben. Ich wappnete mich mit Messer und Schüssel sowie dem Mut, das Krokodil auch

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