Das Mädchen am Rio Paraíso
sollten ein Floß bauen, damit wären wir viel schneller als zu Fuß. Auf dem Fluss lassen wir uns von der Strömung südwärts treiben, das dürfte nicht so schwierig sein. Nur die Konstruktion bereitet mir noch Kopfzerbrechen.
Você sabe nadar?
«
Klara hatte nicht alles verstanden, wohl aber die letzte Frage: »Kannst du schwimmen?« Sie verneinte kopfschüttelnd. Es gelang ihr gerade so, sich über Wasser zu halten, aber richtig schwimmen hatte sie nie gelernt. Raúl blieb stehen und sah sich um.
An abgebrochenen Zweigen herrschte kein Mangel, doch umgestürzte Bäume, die klein genug waren, um sie schleppen zu können, und groß genug, um sie zu einem provisorischen Floß zusammenzubauen, das sie tragen würde, sah er keine. Ans Bäumefällen war mangels Werkzeug nicht zu denken. Er musste sich damit abfinden, dass sie den Weg zu Fuß zurücklegen würden, was in ihrer derzeitigen Geschwindigkeit mehrere Tage dauern konnte. Wenn sie Glück hatten, kam ein anderes Boot den Fluss herauf, das sie mitnehmen würde. Sie mussten sich also ständig in Ufernähe aufhalten, was das Gehen nicht unbedingt erleichterte. Der Boden war dort feuchter und glitschiger, das Vorankommen war deutlich anstrengender als auf dem weichen und trockenen Grund im Innern des Waldes.
Still stapften sie weiter. Außer ihrem schweren Atem waren nur die Geräusche des Dschungels zu hören, ein unentwegtes Summen, Surren, Zwitschern, Pfeifen, Rascheln und Knacksen. Klara kannte diese beunruhigende Symphonie allzu gut. Sie rief ihr wieder all die Geschehnisse in Erinnerung, die sie vor dem Unfall durchlebt hatte. Wie schnell man Unangenehmes verdrängt, fuhr es ihr durch den Kopf. In den Wochen, die sie in der Stadtresidenz Raúls verbracht hatte, waren der Urwald und seine Schrecken in sehr weite Entfernung gerückt. Jetzt waren sie wieder da, lebendiger und eindringlicher denn je.
Auf ihrer Parzelle waren sie zwar vom Wald umgeben gewesen, doch ihr Häuschen und die hart erarbeitete Normalität eines kleinbäuerlichen Haushalts hatten ihnen ein Gefühl von Sicherheit vermittelt: Wo Hühner im Sand scharren, wo eine Kuh muht und wo die Hausfrau am Herd einen Eintopf zubereitet, kann keine Gefahr drohen. Das zumindest hatten sie sich eingeredet. Hier dagegen waren sie der Natur völlig ausgeliefert.
Unter dem dichten Blätterdach war es die ganze Zeit dämmrig gewesen. Jetzt aber erschien es Klara so, als würde sich tatsächlich die Abenddämmerung auf sie herabsenken. Sie machte eine entsprechende Bemerkung, und Raúl zog seine Taschenuhr hervor.
»Verdammt, sie ist stehengeblieben! Es scheint Wasser eingedrungen zu sein.« Er blickte nach oben, sah jedoch nur einzelne kleine Fleckchen eines strahlend blauen Himmels. »So lange sind wir doch noch gar nicht gegangen«, meinte er, »ein bisschen können wir noch.«
Klara war ganz und gar nicht seiner Meinung. Sie wusste genau, wie schnell es dunkel wurde. Besser wäre es, sie würden jetzt anhalten, damit sie noch beim letzten Tageslicht Feuerholz sammeln und sich ein halbwegs geschütztes Plätzchen für die Nacht suchen konnten.
»Na schön, wahrscheinlich hast du recht.«
Sie ließen das Ufer hinter sich und wählten eine riesige Zeder, unter der sie ihr Lager aufschlagen wollten. Dieser Baum war, selbst wenn sie sich von der Stelle entfernten, um nach Nahrung oder Feuerholz zu suchen, gut wiederzufinden. Raúl nahm ihr weniges Gepäck vom Pferd und fahndete in seinem Reisebeutel nach Streichhölzern. Das Pferd brauchte nicht einmal festgebunden zu werden, das Dickicht war so undurchdringlich, dass das Tier ohnehin nicht weit käme. Als er die Schachtel mit den Zündhölzern trocken vorfand, gab er ein kleines triumphierendes Grunzen von sich. Dann nahm er die Satteldecke ab und breitete sie unter dem Baum aus.
»Hier, setz dich und bewache unsere Sachen.« Er lachte trocken auf. »Vor all den Übeltätern, die hier ihr Unwesen treiben.«
Klara hätte ihm sagen können, dass das gar nicht so komisch war. Sie hatten Proviant dabei, der Tiere anlocken würde, und die Neugier der Indios, die möglicherweise ganz in der Nähe lebten, würden sie ebenfalls bereits geweckt haben. Doch sie verlor darüber kein Wort, sondern nickte nur. Raúl schien den Dschungel nicht so gut zu kennen wie sie. Er lebte im trockeneren Hinterland, das, wie Teresa ihr geschildert hatte, von weiten, offenen Grasflächen überzogen war. Wenn er dort nicht war, hielt er sich in Städten auf. Den Urwald mochte
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