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Das Mädchen Ariela

Das Mädchen Ariela

Titel: Das Mädchen Ariela Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schreibtisch war mit Schmutz bedeckt. Ein goldgerahmtes Bild Arielas war umgefallen. Das Bild der Mutter stand noch, aber das Glas hatte einen Sprung. Auf dem Boden, hinter dem Schreibtisch, lag ein großes Foto, das der Luftdruck einer Granate von der Wand geweht hatte. Es zeigte Major Golan, wie er von Moshe Dayan umarmt wurde. Das war 1956. In der Wüste Sinai. Arnos Golan war stolz auf dieses Bild gewesen.
    Ariela bückte sich, pustete den Staub von dem Foto, küßte ihren Vater und befestigte es wieder an der Wand.
    Dann verließ sie die Wohnung, schloß die Tür ab und hängte die Schlüssel wieder an den Nagel neben dem Elektrozähler.
    Ihre Kindheit war vorbei. Was vor ihr lag, wußte sie nicht. Ab und zu ertappte sie sich dabei, daß sie auf eine Antwort Gottes wartete für alle Fragen, die sie ihm an der Klagemauer zugeschrien hatte. Das ist kindisch, sagte sie zu sich selbst. Aber irgendwie hing sie an diesem Glauben.
    Ruhelos wanderte sie durch Jerusalem. Sie durchstreifte das Hanevi'im-Hospital und ließ sich die Zimmer und Labors zeigen, in denen Dr. Schumann gearbeitet hatte. Keiner wußte, wo er geblieben war; man wartete darauf, daß einer der unbekannten Toten unter einem Trümmerberg als Dr. Schumann identifiziert wurde.
    Sie schwieg von dem, was sie von Moshe Rishon wußte. Sie sah: Alle hatten ihn gern gehabt. Er war ein geschätzter Kollege gewesen. Er hatte etwas gekonnt. Man sprach nur Gutes über ihn. »Vielleicht lebt er doch noch«, sagte Ariela, als sie das Hanevi'im-Hospital verließ, zu dem Chefarzt, der sie zum Portal begleitete. »Vielleicht liegt er ohne Bewußtsein irgendwo in einem Krankenhaus … Wir wollen hoffen.«
    »Wir haben immer von der Hoffnung gelebt, Fräulein Golan«, sagte der Chefarzt fest. »Sonst gäbe es kein Israel …«
    Als das von Bomben zerstörte Krankenhaus aufgeräumt wurde, als Bagger und Bulldozer die Trümmer durchwühlten und verschüttete Leichen nach oben kehrten, saß Ariela in der Bude des Bauführers und trat an jede Trage heran, schob das Tuch weg und starrte in die erdigen, manchmal schon sich auflösenden Gesichter.
    »Nein!« sagte sie jedesmal. »Nein! Er ist es nicht. Nein.«
    Nach zwei Tagen und Nächten kam der Bauführer zu ihr. Sie saß noch immer mit steifem Kreuz an dem rohen Holztisch und starrte in die Trümmer.
    »Die Keller sind alle freigelegt, die Trümmer umgewühlt … es gibt keine Toten mehr in dem Bau, Leutnant Golan«, sagte der Bauführer.
    Ariela erhob sich und nickte. »Danke, Jonas. Es ist gut. Ihr habt fleißig gearbeitet.«
    Sie setzte ihr Käppi auf, wischte sich über die Augen und ging. Zweimal traf sie Major Rishon. Nur von weitem sahen sie sich, in der Ambulanz des Krankenhauses, wo sich Ariela verbinden ließ und wo ihre Schulterwunde kontrolliert wurde. Sie heilte gut, während die Wunde im Herzen immer mehr aufriß. Rishon winkte ihr zu, sie wandte sich ab. Er kam auf sie zu und sprach sie an … und sie knöpfte ihre Bluse zu, drängte sich wortlos an ihm vorbei und verließ die Ambulanz. Das zweite Mal sogar nur halb verbunden.
    »Sie haben kein Glück, Major«, sagte der Stabsarzt der Ambulanz lächelnd. »Wenn Oberst Golans Tochter nicht will, ist es für Sie leichter, Kairo zu erobern als sie …«
    »Sie trauert einem Lumpen nach«, sagte Rishon dumpf.
    »So ist das immer.« Der Arzt stopfte sich eine Pfeife. »Lumpen haben das meiste Glück! Weiß Gott, warum das so ist …«
    Am Sonntag, vierzehn Tage nach Kriegsausbruch, wanderte die deutsche Reisegruppe in die Altstadt. Zu den heiligen Stätten. Rei seleiter Hopps wollte einen Wagen für die Schwestern bestellen, aber Schwester Brunona winkte ab.
    »Der Herr ist mit dem Kreuz bis Golgatha gegangen«, sagte sie mit bebender Stimme. »Da kann ich an der Hand meiner lieben Schwestern auch bis zu seinem Grabe gehen …«
    Es wurde eine Wallfahrt in zwei Gruppen.
    Während Müller XII, Johann Drummser, Harald Freitag und der vom Altertumsenthusiasmus durch Mädchenküsse geheilte Theobald Kurzleb sich abseits schlugen und die neueste Geschichte in Form von zerbombten Häusern, eroberten Panzern und ausgebrannten Lastwagen studierten, betrat Schwester Brunona, gestützt auf ihre Mitschwestern Angela und Edwiga, die Heilige Grabeskirche.
    Sie sah kaum noch etwas. Ihre schwachen Augen waren nun völlig getrübt durch die Tränen, die unter ihrer dunklen Brille hervorquollen und in kleinen Bächen über die vielen Runzeln zum Kinn rannen. Sie blieb stehen,

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