Das Mädchen Ariela
richtete sich hoch auf und atmete tief die heiße Luft ein. Es war wie ein Feuerstrom, der sie durchzog.
»Sind wir da?« fragte sie.
»Wir stehen vor der Taufkapelle des heiligen Johannes, Ehrwürdige Mutter«, antwortete Schwester Edwiga leise. »Der Taufstein ist vor uns.«
Schwester Brunona schlug das Kreuz und nickte. »Führt mich herum«, sagte sie. »Ich will alles sehen! Laßt nichts aus. Ich habe die Wege durch die Kirche im Kopf, ich kenne alle Treppen und Gänge, alle Kapellen und Grüfte. Ich habe sie auswendig gelernt, als Gott mir noch die Augen ließ. Oh, ich habe den Plan vor mir. Rechts von uns … da ist die Kapelle der vierzig Märtyrer, nicht wahr?«
»Ja, Ehrwürdige Mutter.«
»Lasset uns gehen und beten. Wir werden diese Stunde nie wieder erleben.«
Und so humpelte sie durch die verzweigten Gänge und Kapellen. Die beiden Schwestern führten sie über Treppen und trugen sie in Katakomben, sie knieten an den Altären und lauschten auf den Gesang der griechischen Mönche, auf die Gebete der Franziskaner, auf die Hymnen der Kopten und das Murmeln der Armenier.
»Laßt nichts aus«, sagte Schwester Brunona. »Ich habe den Plan im Kopf. Liebe Schwestern, ich fühle mich leicht wie nie …«
Sie beteten in der Kapelle der Verhöhnungen, sie knieten in der Felsengrotte, die Jesus als Gefängnis gedient hatte, dann betraten sie die lange Vorhalle zum Heiligen Grab, den ›Nabel der Welt‹, und gingen langsam auf das Grab Jesu zu.
»Die Engelskapelle, nicht wahr?« fragte Schwester Brunona und sah geradeaus. »Und dahinter das Felsengrab des Herrn. O mein Gott … ich danke dir …« Sie fiel auf die Knie, und die beiden jüngeren Schwestern stützten sie, damit sie nicht nach vorn auf das Gesicht stürzte und sich verletzte. Sie hatte die Arme vorgestreckt und betete, man verstand ihre Worte nicht mehr, und doch wußte jeder, was sie sagte.
Mit letzter Kraft erhob sich Schwester Brunona und legte die Arme um die Schultern von Edwiga und Angela.
»Weiter!« sagte sie. »Weiter! Es fehlt noch die Stelle, wo die heilige Helena das Kreuz gefunden hat … es fehlt das Grab Adams … und es fehlt Golgatha …«
Dann stand sie vor der Stelle, an der man Christus ans Kreuz geschlagen hatte. Sie machte sich los von den Händen der beiden Schwestern und ging allein vorwärts, aufrecht und fest, als habe sie keine Arthritis mehr, als sehe sie klar wie ein Adler unter blauem Himmel.
Vor dem Felswürfel blieb sie stehen, in dem mit Silber die Vertiefungen ausgegossen waren, die Löcher, in die man das Kreuz Christi und die Kreuze der beiden Schacher hineingestemmt hatte. Sie hob den Kopf, als könne sie noch das Kreuz sehen, als stünde sie mit Maria, der Mutter, mit Magdalena und Johannes unter dem Kreuz des Herrn und sein letzter Blick gelte auch ihr. Aufrecht und gerade stand sie da, und voll Staunen sahen Edwiga und Angela, wie groß Brunona einmal gewesen sein mußte, ehe die Gicht sie zusammenkrümmte. Jetzt streckte sie sich und hob den Arm empor, als kommandiere sie eine Reiterschar.
Golgatha.
»Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun …«
Herr, vergib ihnen.
Das Wunder der Gnade …
Angela und Edwiga sprangen nicht hinzu, als Schwester Brunona in sich zusammensank und vor dem Altar niederfiel. Erst als vier griechische Mönche sie wegtrugen und seitwärts in einen der vielen Felsenwinkel legten, traten sie hinzu, knieten neben ihr nieder und beteten.
Ein Lächeln lag auf dem Gesicht Schwester Brunonas. Die dunkle Brille war von ihrem Gesicht geglitten. Alle Runzeln waren wie weggewischt, sie sah so jung aus wie nie. Und ihre Augen, einst trübe und grau vom Star, waren weit und offen und klar wie das Wasser in den Zisternen, aus denen hier die Priester das Wasser nehmen, um zu taufen.
Es war der gleiche Blick, mit dem Oberst Arnos Golan den Suezkanal begrüßt hatte.
Ein Blick aus dem Frieden.
Der fast schon heilig zu nennende Tod der Ehrwürdigen Mutter Brunona wurde erst spät bekannt.
Reiseleiter Hopps hatte sich den beiden Studienräten und der Sozialfürsorgerin angeschlossen, die mit einem handlichen Führer durch die Grabeskirche gingen und sich Stellen in den Büchern anstrichen. Die Studienräte begannen dann später ein Gespräch mit drei griechischen Mönchen in altgriechischer Sprache und waren stolz, daß sich der Vorteil einer humanistischen Bildung hier wieder einmal erwies.
Sie wurden eingeladen, auch die sonst nicht zugänglichen hinteren weiten
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