Das Mädchen auf den Klippen - Riley, L: Mädchen auf den Klippen - Girl on the Cliff
würden, aber …«, Mary schüttelte den Kopf, »… er hat mir nicht geglaubt.«
»Verstehe. Wenn es Sie tröstet, Madam: Mein Onkel war genauso. Niemand konnte ihm die Angst nehmen. Sie dürfen sich keine Vorwürfe machen.«
»Aber das tue ich …«
Da klingelte es unten. »Das sind wahrscheinlich die Sanitäter, Madam. Ich gehe runter und lasse sie herein. Würden Sie in der Zwischenzeit so freundlich sein nachzusehen, ob Sie etwas von dem, was Ihr Mann bei sich trägt, behalten möchten?«
Mary nickte. Als der Polizist das Zimmer verlassen hatte, legte sie den Kopf auf Jeremys Brust. »Schatz, warum hast du mich und Sophia im Stich gelassen? Hast du uns denn nicht vertraut? Ich habe dich aus ganzem Herzen geliebt. Wusstest du das nicht? Hast du das nicht gespürt?«
Kopfschüttelnd nahm Mary Jeremys Uhr aus einer Tasche und überprüfte die anderen. In der linken spürte sie Papier. Sie holte einen Umschlag mit dem Militärsiegel heraus. Er ähnelte dem, den Sean erhalten hatte, als er zu den Irish Guards eingezogen worden war.
Er war ungeöffnet. Mary riss ihn auf und zog den Brief heraus. Nun wusste sie, was ihren Mann veranlasst hatte, sich das Leben zu nehmen.
Pensionskasse
5. Oktober 1939
Sehr geehrter Mr. Langdon,
hiermit teilen wir Ihnen mit, dass Ihre Militärpension ab Januar 1940 von 5 Pfund 15 Shilling monatlich auf 6 Pfund 2 Shilling monatlich angehoben wird.
Hochachtungsvoll,
Die Unterschrift war durch einen Stempel unleserlich.
Der Brief fiel Mary aus der Hand, und sie begann hemmungslos zu weinen.
Mary und Sophia wohnten als Einzige Jeremys Beerdigung bei. Mary hatte keine Ahnung, wo sich Jeremys Eltern aufhielten. Als noch schmerzlicher jedoch empfand sie die Abwesenheit Annas, die sie schriftlich informiert hatte.
Mary überstand den dunklen Monat Oktober nur mithilfe von Sophia, weil sie ihr keine Zeit ließ, sich zurückzuziehen und in ihrem Schmerz vielleicht den gleichen Weg wie Jeremy zu wählen. Außerdem musste sie sich bald mit bürokratischen Fragen auseinandersetzen. Jeremy hatte ihr jede Woche einen gewissen Betrag für den Haushalt zur Verfügung gestellt. Im Moment lebte sie von ihren eigenen Ersparnissen. Obwohl keine Gefahr bestand, dass diese in absehbarer Zeit aufgebraucht sein würden, und sie sich jederzeit wieder aufs Nähen verlegen konnte, wusste sie nicht, wie sich die rechtliche Situation im Hinblick auf das Haus gestaltete und ob Jeremy sie in seinem Testament bedacht hatte.
Die Lage klärte sich eine Woche später, als ein schwarz gekleideter Mann mit schütterem Haar und Melone vor ihrer Tür stand.
»Mrs. Langdon, nehme ich an?«
»Und wer sind Sie?«, fragte Mary argwöhnisch.
»Sidney Chellis von der Anwaltskanzlei Chellis/Latimer. Lord und Lady Langdon, die Eltern Ihres verstorbenen Ehemannes, haben mich zu Ihnen geschickt, um eine geschäftliche Angelegenheit zu besprechen. Darf ich reinkommen?«
Mary nickte müde. Als sie ihn ins Wohnzimmer führte, wurde ihr bewusst, dass Jeremy nie erwähnt hatte, der Sohn eines Lords zu sein.
»Setzen Sie sich doch. Möchten Sie einen Tee?«, fragte sie.
»Nicht nötig. Was ich Ihnen zu sagen habe, wird nicht viel Zeit in Anspruch nehmen.« Der Anwalt holte Dokumente aus seiner Aktentasche, die er auf seinen Schoß legte.
Mary nahm nervös ihm gegenüber Platz. »Habe ich … etwas falsch gemacht?«
»Nein, Mrs. Langdon, es ist alles in Ordnung.« Er sah sie über den Rand seiner Brille hinweg an und hob die Augenbrauen. »Sie wissen vermutlich, dass Ihr Mann ein Testament verfasst hat, in dem er dieses Haus, seine Militärpension und sein persönliches Einkommen Ihnen vermacht?«
»Nein, Mr. Chellis, mit dieser Frage habe ich mich noch nicht auseinandergesetzt, weil ich zu sehr mit meiner Trauer beschäftigt war«, antwortete Mary wahrheitsgemäß.
»Er hat sein Testament bei unserer Kanzlei hinterlegt, die die Langdons seit mehr als sechzig Jahren juristisch vertritt. Allerdings gibt es da ein kleines Problem.«
»Und das wäre?«
»Mr. Langdons Patentante hat dieses Haus ursprünglich von Mr. Langdons Großvater erhalten. Es befindet sich seit seiner Errichtung vor zweihundert Jahren im Besitz der Langdons. Das Kodizill im Testament seiner Patentante verfügt, dass Ihr Gatte das Haus lebenslang nutzen kann, es bei seinem Tod jedoch an die Langdons zurückfällt.«
»Verstehe«, sagte Mary mit leiser Stimme.
»Sie und Mr. Langdon haben ein Kind, ein Mädchen namens …«, Mr. Chellis warf einen
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