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Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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Traum gebracht hatte, und schon gar nicht Utz, sondern Diether. Sie glaubte ihre Stimme zu hören: Er hat dich innig geliebt, und er wird dich weiter lieben, doch er kann nicht mehr lange bei dir bleiben. Sehr bald ist es jetzt so weit, dass er gehen muss.
    Bedeutete das, dass Diethers Leben verloren war, wie Lentz es ihr erklärt hatte? Dass sie ihn wirklich nur noch vor der Qual auf dem Rad und der ewigen Verderbnis bewahren konnten?
    Aber er hatte doch Propst Nikolaus nicht getötet!
    Und wenn der verfluchte Linhart nun längst wieder in Bernau war und keiner mehr auf sein Gerede hörte? Natürlich musste der Rat mit Bernaus Geistlichkeit über den Tod ihres Propstes sprechen, aber weshalb sollten dabei die Mordfälle in der Familie Harzer zur Sprache kommen? Sie konnten Glück haben, und die Geschehnisse blieben verborgen, wie sie so lange verborgen geblieben waren. Warum sollte Diether dann nicht sein Leben weiterführen wie bisher?
    Weil dein Bruder kein Unmensch ist. Nur ein Unmensch könnte mit einer Schuld von solcher Schwere weiterleben, ohne sie zu sühnen.
    Wer hatte ihr diese Antwort gegeben? War es wie im Traum die Stimme der Mutter, die zu ihr sprach?
    Hast du in diesen Jahren nicht gesehen, dass er mit seiner Gewissenslast nicht leben konnte? Im Geheimen sehnt er sich danach, für seine Schuld zu bezahlen, denn anders wird er nie wieder frei sein.
    Ja, sie hatte gesehen, dass Diether mit seiner Gewissenslast nicht leben konnte, dass er gehetzt und getrieben durch die Tage jagte, weil er sich selbst nicht ertrug. Hieß das aber, dass sie ihren Bruder sterben lassen musste, keinen Finger rühren sollte, während die Henkersknechte der Stadt seinem gerade erst begonnenen Leben ein Ende machten? Die dahinschleichenden Stunden bis zum ersten Ton der Lerche wurden Magda zur Qual. Sobald das Schwarz vor der Fensterluke jedoch zu Grau verblich, erneuerte sie ihren Entschluss: Sie würde zuerst alles tun, um Diether von dem Vorwurf des Mordes an Propst Nikolaus reinzuwaschen. Alles andere würde sich finden, wenn dieser Felsen überwunden war.
    Hans hielt Wort: Magda war kaum fertig angekleidet, da stand er mit einem völlig kahlköpfigen Mann vor der Tür, dessen Surcot aus mitternachtsblauem Barchent mit Mehl bestäubt war, als hätte es geschneit. »Verehrung, Gnädigste.« Der Kahlkopf verbeugte sich. »Petter Tietz der Name, die beiden Pferdchen warten auf dem Marktplatz. Ich dachte mir, ich kutschiere Euch rasch hinüber nach Spandau, denn mit Bäckermeister Petter reist man schneller als ein übles Gerücht.«
    Überrumpelt musste Magda lachen, und das war das Beste, was ihr an diesem Morgen geschehen konnte. Da sie außerdem im Leben nie ein Zweigespann gelenkt hatte, willigte sie ein und stieg samt Petter Tietz auf den mit der Brezel der Bäckerinnung bemalten Wagen. Die zwei mächtigen Kruppen der Braunen begannen, vor ihren Augen auf und ab zu tanzen, und in rasantem Trab fuhren sie auf der Spandauer Straße hinaus aus der Stadt.
    An der Kreuzung vor der Langen Brücke flog das Rathaus mit der Gerichtslaube vorbei. Würde hier das Urteil über Diether gesprochen werden, vor Augen und Ohren der Geiferer, die sich dicht um die Pfeiler drängten, um von dem Spektakel nichts zu versäumen? Bechtolt würde sich diesen letzten Schlag gegen die Harzers gewiss nicht entgehen lassen, und er würde dabei in sich hineinlachen, dass sein Wanst wackelte. Magda schüttelte sich. Sie gab sich alle Mühe, die Vorstellung zu verdrängen und nur an das, was vor ihr lag, zu denken.
    Nach keiner halben Stunde an Petters Seite wusste Magda, was Hans gemeint hatte: Der Mann war ein Aufschneider vor dem Herrn, er machte aus Diether einen Waisenknaben, aber er war auch ein famoser Kerl. Schenkte man ihm Glauben, so hörten alle zwölf Berliner und sämtliche sechs Cöllner Ratsmitglieder allein auf das Wort von Bäckermeister Tietz, und kraft dieses Wortes würden sich die Anschuldigungen gegen seinen Freund Diether mir nichts, dir nichts in Luft auflösen. Er schien so strahlend und zuversichtlich wie der junge Morgen und der Triumphgesang der Waldvögel. Magda, die vom Bock aus zusah, wie das reife Korn sich in tänzelnden Winden wiegte, schöpfte Hoffnung, auch wenn sie Petter kein Wort glaubte.
    Zum Ende der Strecke, als die Mauer von Spandau schon in Sicht kam, wurde er ein wenig kleinlauter. Er fühle sich schuldig, gab er mit zerknirschter Miene zu. Die Idee, dem Propst eine Abreibung zu verpassen, sei ebenso die

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