Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
Vom Netzwerk:
Rausch der Gewalt geriet und ein Leben auslöschte. Jeder von uns, der auf diesem Platz stand, ist so schuldig wie Diether und muss mit dieser Schuld leben.«
    Das war mutig gesprochen, und Magda wünschte sich, Diether hätte es gehört. Die Räte und Schöffen, die über ihn zu Gericht saßen, würden die Dinge jedoch anders sehen. Wenn Linharts Hetzreden bereits in der Stadt die Runde machten, würden die Toten der Vergangenheit sich schon bald aus ihren Gräbern erheben. Wer einmal bereit war, ein Leben zu nehmen, der ist es wieder, würde es heißen. Wir brauchen unseren Sündenbock, um die Stadt zu retten, und ein Vatermörder verdient den Tod auf dem Rad ohnehin.
    Flüchtig horchte Magda in sich hinein. Wenn Diether wahrhaftig den Vater und Endres getötet hatte – wollte sie dann, dass er auf dem Rad dafür bezahlte? Sie hatte sich so sehr gewünscht, Endres’ Tod zu rächen, doch die Frage verflog wie nie gestellt. Was Diether betraf, so wollte sie nur eines: Ihn in die Arme nehmen und ihm sagen, dass sie ihm beistehen würde, was immer ihm bevorstand. Ihm sagen, dass sie ihn liebte.
    In diesem Augenblick klopfte es von Neuem an der Tür.
    Die vier Menschen starrten einander an. Es musste weit nach Mitternacht sein. Wer um diese Uhrzeit Einlass in ein Haus begehrte, kam nicht mit guten Nachrichten.
    Der Großvater machte halbherzig Anstalten, sich zu erheben, aber Magda kam ihm zuvor. Er war alt. Die Nachricht mochte ihm das Herz brechen. Vor der Tür drehte sie sich noch einmal in den Raum um und sagte: »Gretlin, was immer geschieht – Diether wollte die Heirat mit dir, und damit bist du für uns seine Frau. Du gehörst zur Familie.«
    »Aber das Kleine in mir …«
    »Diether hat es als seines angenommen, und dabei bleibt es«, erwiderte Magda. »Wir sind nicht reich, und vielleicht wird es jetzt noch härter für uns. Aber wir hatten immer unser Auskommen, und du und das Kleine habt es auch.« Damit drehte sie sich um und zog die Tür auf, um dem Büttel der Stadt die Stirn zu bieten.
    Vor der Tür, im Nachtwind, stand Lentz.
    Er hob die Arme und ließ sie hilflos wieder fallen.
    Sie hob die Arme und ließ sie wieder fallen.
    »Magda«, stammelte er und wusste nicht weiter.
    »Lentz«, stammelte sie und wusste auch nicht weiter.
    Dann trat er einen Schritt vor und dann sie einen, und mit dem nächsten umarmten sie sich und hielten sich aus Leibeskräften fest.
    Lentz war ein Segen, wie er es immer gewesen war. Mit ein paar Worten, ein paar Gesten, dem Einschenken von Bier und dem Aufschneiden von Brot gelang es ihm, sie alle so weit zu beruhigen, dass sie sich beraten konnten. »Natürlich bleibe ich bei euch«, antwortete er auf Magdas Frage. »Solang meine Familie mich braucht, bleibe ich hier.«
    Aber Lentz war auch ein aufrechter Mann und sprach die Wahrheit aus, sosehr sie ihn schmerzte. »Lasst uns um eines nicht herumreden«, sagte er, nachdem er eine Zeitlang ihrem Wortwechsel gelauscht hatte. »Wenn Diether getötet hat, dann muss er dafür bestraft werden. Wir haben kein Recht, ihm diese Strafe zu ersparen, weder vor Gott noch vor den Menschen.«
    »Aber Diether ist unser Bruder!«, rief Magda verzweifelt, obgleich ihr längst klar war, dass er Recht hatte. »Ich hab ihn so lieb, ich will nicht, dass er stirbt.«
    »Ich auch nicht«, sagte Lentz. »Aber wenn ich will, dass seine Seele gerettet wird, dann muss ich zulassen, dass er seine Taten sühnt. Er ist ein Mensch, der in höchster Not gehandelt hat, und niemand, der das tut, verdient es, dass man seinen Leib auf dem Rad verrotten lässt und ihn der ewigen Verdammnis anheimgibt. Davon müssen wir den Rat überzeugen, ehe es zu Gericht geht.«
    »Aber zum Tode würde das Gericht ihn selbst dann noch verurteilen?«, fragte Magda.
    Lentz nickte. »Ich fürchte, daran führt kein Weg vorbei.«
    »Dann helfe ich ihm, aus diesem Loch zu flüchten!«, rief der Großvater, erhob sich vom Stuhl und schwenkte drohend seinen Becher.
    »Wenn es das wäre, was Diether wollte, würde ich nicht zögern, dasselbe zu tun«, erwiderte Lentz bedrückt. »Zumal wir an dem, was geschehen ist, einen Teil der Schuld tragen. Wenn er die Strafe aber auf sich nehmen will, werde ich ihn nicht hindern, sondern Gott bitten, ihn in Liebe wieder anzunehmen.«
    Der Gedanke war so hart, dass Magdas Hirn sich weigerte, ihn zu Ende zu denken. Stattdessen brach ihr pragmatischer Sinn sich Bahn. »Lasst uns einen Fuß nach dem anderen setzen, sonst stolpern wir«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher