Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
starrte, der sich prall wie ein Winterapfel zwischen den knochigen Hüften wölbte. Hastig wandte sie den Kopf zur Seite, doch in diesem Augenblick klopfte wie zu ihrer Rettung der junge Mann namens Hans an ihre Tür.
Er sei Diethers Freund, erklärte er in höchster Erregung, er habe Stunden gebraucht, um herauszufinden, was überhaupt geschehen sei, und dann noch einmal Stunden, um nach Diethers Familie zu suchen. »Ich hatte doch keine Ahnung, dass wir beinahe Nachbarn sind!«, rief er aus.
Offenbar war dieser arglose Bursche der Einzige, der Diethers Lügengeschichten aufgesessen war. Jetzt entdecken zu müssen, dass der Freund ihm mehr als einen Bären aufgebunden hatte, brachte ihn jedoch kaum aus der Ruhe. »Gütiger Herr des Himmels, wer macht sich denn nicht gern ein bisschen größer, als er ist?«, fragte er. »Der Petter tut nichts anderes, der hat das Geschäft von seinem Vater mächtig in die Kreide gebracht, aber mit dem Geld wirft er noch immer um sich wie die Herren von Quitzow. Und ist der Petter deshalb ein schlechter Kerl? Mitnichten. Sein letztes Hemd würde er für seine Freunde geben, und der Diether, der gäbe noch die Bruche dazu!«
Die Wangen des Burschen röteten sich, so sehr legte er sich für Diether ins Zeug. Diether hat Freunde , stellte Magda verwundert fest. Freunde, die nicht auf ewig versuchen, ihn zu ändern, sondern ihn nehmen, wie er ist. Warum haben wir ihn so nicht nehmen können? Wären wir dazu imstande gewesen, hätten wir Diether vor dem Verderben bewahrt?
»Diether hat nicht nur Gretlin, sondern auch meine Ursel aus der finsteren Kaschemme herausgeholt«, erzählte Hans weiter. »Damals hab ich ihm versprochen: Ich bin nur der Hans vom Bader, der nie einen Pfennig haben wird, aber wenn du je einen brauchst, der einen Drachen für dich tötet, dann finde ihn in mir. Und hier bin ich. Ich bin gekommen, um den Drachen zu töten, und jetzt brauche ich nur noch einen, der mir sagt, wie ich es anfangen muss.«
»Den hätten wir auch gern«, brummte der Großvater. »Aber das eine sag ich euch: Solange ich Seyfrid Harzer heiße, wird niemand wagen, den Jungen von meiner Sanne auf ein Rad zu flechten. Bevor ich das erlaube, flechte ich lieber mich alten Zausel selbst da drauf.«
»Di-ta hat nichts getan«, erwiderte Gretlin. »Einen, der nichts getan hat, können die Richter nicht aufs Rad flechten lassen, denn dann wären sie Mörder, nicht besser als die vom Propst.«
»Deinen Glauben möcht ich haben, Täubchen.« Der Großvater stöhnte. »Wer sagt dir denn eigentlich so unumstößlich, dass der Diether nichts getan hat, he? Hast du seinen Vater gekannt, hast du erlebt, wie der den Jungen geschunden hat? Sein Vater war ein Tagedieb, einer, der keine Hand rührt, aber höher hinauswill, als ein Adler kreisen kann. Handelsherr wollte der sein, ein Netz bis ans Ende der Welt aufbauen. Und was hat er wirklich verkauft? Ein paar Arzneimittelchen, die er bei uns hinterm Abort gepanscht hat, für einen Appel und ein halbes Ei.«
Der Großvater holte über lange Zeit Atem, aber er sagte nicht zweimal »Ei«, sondern setzte schließlich von Neuem an: »Dass er nichts zuwege gebracht hat, dieser Herr Vater, das hat er an dem Jungen ausgelassen. Einer wie der Lentz, ein braves Bübchen, das Ja, Vater, nein, Vater sagt, das war ihm recht, nach dem Utz hat halt kein Hahn gekräht, und das kleine Kälbchen hier hat ihm wie uns allen das Herz erwärmt. Aber der Diether, der hat’s einstecken müssen. Der Mann hat sein Leben gehasst, und weil der Sohn es liebte, hat er es ihm zur Hölle gemacht. Weil er ein so kleiner Mann war, musste er den Sohn noch kleiner prügeln, und damit hat er aus meinem lieben Bübchen, das so hübsch singen konnte, einen Mörder gemacht!«
»Und warum hast du ihn nicht beschützt?«, schrie Magda. Sie hatte den Großvater nie zuvor weinen sehen, aber Mitleid verspürte sie nicht. »Warum hast du ihm nie gesagt, dass er dein liebes Bübchen war, warum hast du ihn verdammt noch mal so mutterseelenallein gelassen?«
Der Großvater gab keine Antwort. In die entstandene Stille hinein sprach Hans: »Augenblick mal. So gern ich diesen Vater in die Finger gekriegt hätte – Diether sitzt nicht seinetwegen im Kerkerturm, sondern weil behauptet wird, er hätte den Propst von Bernau ermordet. Und das hat er nicht, das kann ein jeder, der dort war, vor Gericht bezeugen. Es gab keinen einzelnen Täter, es gab eine aufgepeitschte Masse von Menschen, die in einen
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