Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
gerädert werden. Aus der Welt gestrichen, als hätte es ihn nie gegeben. Warum Euer Sohn meint, ausgerechnet Ihr würdet einem bedeutungslosen Burschen aus Bernau zu Hilfe kommen, weiß ich nicht. Aber wenn er Recht hat, dann flehe ich Euch an: Helft meinem Bruder.«
Diesmal redete der Mann nicht geschwollen drum herum und starrte auch nicht erst versonnen in den Wein. »Ja«, sagte er unverzüglich. »Ja, ich denke, ich kann Euch helfen.«
Magda war so erleichtert, dass ihr die Stimme versagte. Ein gekrächztes »Wie?« war alles, was sie herausbrachte.
»Die Frage ist berechtigt«, erwiderte Alvensleben. »Zumal es den Anschein hat, als hätten weder mein Reichtum noch mein Einfluss mein eigenes Fleisch und Blut vor dem Schlimmsten bewahrt. Genügt es Euch, wenn ich Euch sage, dass die Geschichte komplizierter ist, als es auf den ersten Blick erscheint?«
»Die Geschichte schert mich nicht! Ich will nur wissen, was Ihr tun könnt, um Diether zu helfen.«
Völlig überraschend lachte der traurige Clewin Alvensleben auf. »Sprecht Ihr mit Thomas auch so? Und mein Herr Sohn lässt es sich gefallen?«
»Ich weiß nicht, wer Euch über mich etwas zugetragen hat und welche Schlüsse Ihr daraus zieht«, entgegnete Magda. »Doch meine Bekanntschaft mit Eurem Sohn war flüchtig und ist bereits vorüber. Wenn Ihr mir daraufhin nicht mehr helfen wollt, nehme ich es hin. Nur sagt es mir freiheraus, denn meine Zeit ist knapp, und ich habe genug davon vergeudet.«
»Ich bitte um Verzeihung«, sagte der Mann, der in der Ordnung des irdischen Lebens um Welten über ihr stand. »Ich kann keine Wunder wirken, und es wäre grausam, falsche Hoffnungen in Euch zu wecken. Ich bin jedoch seit dem vergangenen Winter damit beschäftigt, mir zur Gewandschneiderei einen weiteren Zweig des Handels zu erschließen und ihn nach Berlin zu verlegen. In der Kaufmannsgilde hat man mich just gegen Herrn Bechtolt zum Oldermann gewählt, und das Gericht hat mich mehrmals als Schöffen berufen. Verschiedene Ratsmitglieder, darunter Stadtschultheiß von Asperstedt, sind mir in der ein oder anderen Weise verpflichtet, und das alles erzähle ich Euch nicht, um mich großzutun, sondern anzudeuten, dass mein Einfluss womöglich von Nutzen sein kann.«
Ja, ja, ja, hallte es durch Magdas Schädel, das ist der Mann, den wir benötigen. Wenn irgendwer uns vor Gericht Gehör verschaffen kann, dann er.
»Gestattet Ihr, dass ich Euch einige Fragen stelle, auch wenn ich mir vorstellen kann, auf welch glühenden Kohlen Ihr sitzt?«
Magda nickte.
»Euer Bruder ist bereit, vor Gericht seine Unschuld zu beteuern?«
»Warum nicht? Seine Unschuld steht schließlich fest!«
»Zuweilen bringen Menschen unfassliche Opfer, um zu schützen, was sie lieben«, sagte Clewin Alvensleben traurig. »Und in diesem Fall ginge es um den Schutz einer ganzen Stadt. Deshalb ist es gut zu wissen, dass Euer Bruder bereit ist, sich zu verteidigen. Die nächste Frage lautet: Könnt Ihr Menschen auftreiben, die für ihn sprechen – am besten Menschen in Scharen? Großartig wären Zeugen, die ihn, was die Tat betrifft, entlasten können, doch auch Freunde, Verwandte und Nachbarn sind von Wert. Mit ihren Aussagen sollten sie seinen Ruf als rechtschaffener Mann stützen, der zu derlei Grausamkeit nicht fähig ist. Was meint Ihr, könnt Ihr mir solche Menschen bringen, wenn ich Ihnen Gehör verschaffe? Ich brauche welche, die sich vor Gericht vernehmen lassen, und andere, die rund um die Laube stehen und dafür sorgen, dass die Stimmung zugunsten Eures Bruders umschlägt.«
»Ich bringe Euch halb Berlin«, sagte Magda, kam sich vor wie Petter Tietz und war dennoch ihrer Sache sicher.
»Je mehr, desto besser«, stimmte Herr Clewin ihr zu. »Es schmerzt mich, Euch in dieser Lage um Zeit zu bitten, doch ich werde wohl einen Tag benötigen, um mich in den Feinheiten des Falls zurechtzufinden. Und auch Ihr werdet Zeit brauchen, um mit möglichen Zeugen zu sprechen. Wollen wir beide an unsere Arbeit gehen, und ich suche Euch morgen Abend zu einer weiteren Besprechung auf?«
Nur ganz allmählich begriff Magda, dass sie mit dem Unerträglichen nicht länger allein stand, sondern dass sie mit Hilfe überhäuft wurde, sodass sie einen Herzschlag lang tief und wohltuend aufatmen konnte. »Ja, bitte«, antwortete sie leise.
»Die letzte Frage: Euer Bruder befindet sich im städtischen Kerker? Wollt Ihr, dass ich mein Wort einlege, damit er menschlich behandelt wird?«
»Darum kümmert
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