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Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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kann, aber welcher Sohn ist das für seinen Vater nicht? Der meine war klug, begabt und voll Wissbegierde. Ich hatte meine Freude an ihm, an jedem Tag seines Lebens. Wir hatten die Frau und Mutter früh verloren und waren einander alle Familie, die wir besaßen. Aber wir waren einander genug, denke ich. Ich zumindest habe es aus tiefstem Herzen genossen, mein Leben mit ihm zu teilen. Es gibt keine schönere Zeit im Leben eines Mannes als die, in der er seinen Sohn heranwachsen sieht, ihn mit Umsicht leiten kann und sich von ihm geleitet fühlt.
    Liebt man eine Frau, so hofft man, zu zweit zu sein bis zum letzten Tag. Liebt man ein Kind, so nimmt man den Abschied von der ersten Stunde an in Kauf. Mir war früh klar, dass mein Sohn in die Welt gehörte, dass er einen Kopf zum Studium besaß und dass ich ihn nicht aufhalten durfte. In deutschen Landen gibt es keine Universität, also musste ich ihn in die Fremde schicken, und ob er zurückkehren würde, stand in den Sternen. Wer kommt zurück nach Brandenburg, wenn er die blühenden Weiten Aquitaniens durchstreift hat? Wer sehnt sich am Tiber nach der Spree, wer weiß unter dem Himmel von Genua noch, wo ein Städtchen namens Spandau liegt? Die Trennung schnitt mir ins Herz, aber gleichzeitig barst ich vor Stolz, weil ich solch einen prachtvollen Sohn besaß und weil ich es mir leisten konnte, ihm das Leben zu bieten, das ihm gebührte. Findet Ihr uns hochmütig, Magda, meinen Sohn und mich?
    Ihr habt Recht, wir waren hochmütig. Aber sind das nicht alle glücklichen Menschen?
    Mein Glück wuchs noch an: Thomas kam nach Brandenburg zurück. Er brachte einen verrückten Schimmelhengst mit, braune Haut wie ein Welscher und ein Lachen, bei dem es mir im Herzen zuckte. So wie mein Thomas lachten Sieger, Männer, die die Welt um ihren kleinen Finger wickelten. Er war ein gewinnender Jüngling gewesen, jetzt aber war er ein Mann, dem sich schwerlich widerstehen ließ. An Bildung konnte ihm hier niemand das Wasser reichen, und ich sah ihn schon als Syndikus, als bewunderten Rechtsgelehrten. Er würde Spandau, dessen Licht im Sinken stand, verlassen und nach Berlin hineinziehen, das wie mein Thomas nach den Sternen griff. Findet Ihr uns hochmütig, Magda, findet Ihr, ich habe meinen Sohn zum Hochmut erzogen? Ja, ich fürchte, das habe ich getan, aber ich habe ihn auch zu einem Mann ohne Falsch und Furcht erzogen, und auf den Mann, der mein Sohn geworden ist, bin ich noch immer stolz.
    Thomas hatte es nicht eilig, sich um einen Posten bei der Stadt zu bewerben, sondern nahm zunächst eine Stellung als Hauslehrer auf der Burg der Quitzows an. Jenem Geschlecht gehören nahezu sämtliche Dörfer der Umgebung, und jedes einzelne haben sie sich durch Raub, Erpressung und Gewalt angeeignet. Als ihre Schatzkammern überquollen und ihr Machthunger nichts mehr zum Vertilgen fand, besannen sie sich auf einmal auf Bildung, auf die verfeinerten Künste des Lebens. Sie wollten nicht länger die ungehobelten Haudegen aus dem wilden Brandenburg sein. Deshalb sollte Thomas ihre Kinder in den klassischen Künsten unterrichten und sie zu gebildeten Weltbürgern machen.
    Zwei Schüler gab es auf der Burg: den Erben Wernhart, der eines Tages den Teufel erschlagen wird, um sich die Hölle einzuverleiben, und die Tochter Afra, die einzig auf der Welt war, um Vater und Bruder gefügig zu sein. Die Arbeit schien Thomas zu gefallen, und sie ließ ihm Zeit genug, mit mir zu jagen, zu debattieren und Schach zu spielen. Unser Leben war schön. Ich hatte meinen Sohn bei mir, Gott gab uns alles in Fülle, und ich sorgte mich um nichts. Ist es hochmütig, sich um nichts zu sorgen, Magda? Heute wünschte ich, ich wäre nicht so blind gewesen, aber hätte es in meiner Macht gestanden, etwas aufzuhalten?
    Andere Leute, Freunde, die mich in alten Tagen um meinen Sohn beneidet hatten, sagten später, ich hätte ihn nicht hart genug angefasst und es versäumt, ihm mit dem Stecken einzubläuen, wo sein Platz im Leben sei. Damit hätte ich seinen Hochmut genährt, bis er nach einem Stern griff, der ihm nicht gebührte. Haben diese Freunde Recht, Magda? Muss ein Mann seinem begabten Sohn mit Schlägen den Stolz und das Feuer austreiben, und bin ich ein unverbesserlicher Narr, weil ich es, wenn ich von vorn beginnen könnte, noch immer nicht täte?
    Dieselben Freunde haben mich auch gefragt, ob ich denn nichts bemerkt hätte, ich aber lebte in einem Zustand seliger Ahnungslosigkeit. Ein ganzes Jahr ging ins Land, und

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