Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
erklärt, er sei kein Mann mehr?« Jedes der Worte tat ihr weh, jedes Bild versetzte sie in atemlosen Zorn. »Wie seid Ihr dazu imstande gewesen? Weshalb habt Ihr nicht in die Welt hinausgeschrien, dass Euer Sohn nichts verbrochen hat?«
»Weil ich es nicht wusste«, erwiderte der Alte leise.
»Und wie konntet Ihr das nicht wissen?«, fragte Magda ungläubig. Hatte dieser Vater seinem eigenen Sohn nie in die Augen gesehen, hatte er nie sein zärtliches Lachen gehört? »Er hat ein Mädchen geliebt, das er nicht lieben durfte, er hat ihr zweifellos auch ein Kind gemacht, aber er hätte ihr doch nie und nimmer Gewalt angetan!« Noch mehr fiel ihr ein, und in rasender Wut platzte sie heraus: »Und dieses Mädchen hat nicht den Mund aufgemacht? Hat sie dabeigestanden, während die Henkersknechte ihm den Rücken in Fetzen peitschten und die Achtung vor sich selbst dazu? Sie hat das mitangesehen und hat kein Wort gesagt, um ihn zu schützen?«
Der Alte nickte. »Ihr Vater und ihr Bruder haben sie gezwungen, mit ihnen bei der Staupsäule zu stehen. Schon in der ersten Frühe, als die Knechte an jeden Zweig der Ruten Metallscherben knüpften, als sie Thomas auf den Platz schleiften und ihm mit stumpfen Klingen Haar und Haut vom Schädel schoren. Sie dürfe sich nichts entgehen lassen, hatten ihr Vater und ihr Bruder ihr befohlen, keinen einzigen Hieb, der ihrem Verderber das Fleisch durchpflügte, keinen Schrei, keinen Grad der Erniedrigung. Das war Afras Strafe. Als sie Thomas von der Säule losbanden, konnte er kaum noch stehen. Afra brach zusammen, doch ihr Vater zerrte sie hinter sich her, während sie ihn vom Platz prügelten. In der Nacht verlor sie ihr Kind. Verurteilt mich, Magda, aber bitte verurteilt nicht Afra. Sie hat ihren Teil der Schuld bezahlt und zahlt ihn noch.«
»Und Euer Sohn?«, schrie Magda erbarmungslos. »Glaubt Ihr etwa, er bezahlt ihn nicht mehr? Ja, ich war ihm nah in diesem Sommer, ich werde nicht länger davon schweigen. Ich habe ihn geliebt, und vielleicht hat ein Teil von ihm mich geliebt, aber ich durfte seinen Rücken nie berühren. Ich durfte von seiner Vergangenheit nichts wissen, und ich durfte ihn nicht in meinen Armen behalten, denn ein Leben in Liebe und Wärme ist er sich selbst nicht mehr wert. Ihr sagt, sie bezahle noch heute, aber sie lebt mit einem freundlichen Geldsack in einem Palast, wärmt sich am Feuer und reitet das Pferd, das Euer Sohn geliebt hat, zuschanden. Er hingegen mauert sich in einem Kloster ein, lässt sich sein Haar noch einmal scheren und demütigt sich, indem er um sein Essen bettelt. Er ist ein schöner Mann, voller Humor und Zärtlichkeit, aber er hat sich alles Liebenswerte in der Welt verboten, weil er an der verdammten Schuld noch immer zahlt!«
Sie musste sich setzen, nach Atem ringen und darum kämpfen, ihre Fassung wiederzuerlangen. Übermächtig war der Wunsch, aus diesem Haus davonzulaufen, zu Petter, Hans, Lentz, zu Menschen, deren Handlungsweise sie verstand, in deren Gegenwart ihr nicht das Blut gefror. Warum nur war sie, um Diether zu retten, auf die Hilfe eines solchen Mannes angewiesen? »Und nach der Tortur habt Ihr ihn seinem Schicksal überlassen?«, fragte sie, weil sie noch immer keinen Weg fand, mit dem Gehörten fertig zu werden. »Halbtot geschunden und ohne einen Pfennig, obwohl der Winter bevorstand?«
Clewin Alvensleben schüttelte den Kopf. »Ich habe ihm von einem Diener Kleider und Geld hinterhertragen lassen. Aber das macht nichts besser, nicht wahr?«
»Nein«, erwiderte Magda. »Es ist so, als ließe man einem Köter einen Knochen hinwerfen, weil man sich selbst nicht die Hände schmutzig machen will.«
Unter ihren Worten zuckte er zusammen. »Ja, das ist es wohl«, sagte er mehr zu sich selbst als zu ihr.
»Und weshalb habt Ihr ihm nachher geschrieben? Wie habt Ihr überhaupt in Erfahrung gebracht, dass er die Misshandlung überlebt hat und im Grauen Kloster ist?«
»Afra kam zu mir«, antwortete er. »Nach dem Verlust des Kindes lag sie für Wochen auf den Tod, doch dann hatte das arme Geschöpf ein wenig Glück: Der Herr Fridrich von Parstein bewarb sich um ihre Hand. Ihr Vater hatte befürchtet, das beschädigte Gut nicht mehr loszuwerden, aber Parstein scherte sich nicht um Gerede. Er wollte Afra zur Frau, und ihre Familie verscherbelte sie nur allzu gern an den um ein Dreifaches älteren Mann. Dem Himmel sei Dank, sie hat es gut getroffen. Bei Herrn Fridrich fand sie Ruhe und Verständnis, und ihm vertraute sie
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