Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
eure Ehen zu segnen und denen, die sterben müssen, das Geleit zu geben.«
»Und uns die Beichte abzunehmen?«, rief einer. »Und was ist mit dem Leib Gottes – spendet ihr paar Gestalten uns den auch?«
Thomas hob eine skeptische Augenbraue, dann sandte er dem Rufer sein Spitzbubengrinsen. »Es wird ein bisschen eng, fürchte ich. Aber wenn wir wie Murmeltiere zusammenrücken und uns nach der Decke strecken, sollte zumindest kein Notfall unversorgt bleiben.«
»Es lebe die Doppelstadt Cölln-Berlin!«, brüllte Petter. »Mitgefangen, mitgehangen – aber hinterher auch wieder mitauferstanden!«
»Und jetzt gebt Diether Harzer frei!«
»Diether Harzer frei!«, echote der Platz. »Es lebe Berlin, gebt Diether Harzer frei!«
An Thomas’ Kutte hingen Menschen in Trauben. Behutsam, um keinen von ihnen abzuschütteln, drehte er sich um und half seinem Guardian auf die Füße. Der wandte sich den Bänken des Rates zu. »Ratsherren von Cölln, Ratsherren von Berlin«, sagte der alte Mann. »Im Falle eines Interdiktes gegen die Doppelstadt sichere ich im Namen des Grauen Klosters die seelsorgerische Betreuung der Bevölkerung zu.«
Lietzen und Asperstedt steckten die Köpfe zusammen, und dann drängten von Neuem so viele Menschen nach vorn, dass Magda es aufgab, um ihre Sicht zu kämpfen. Den Jubel der Menge aber hörte sie, und wenig später erkannte sie die Rufe von Petter und Gretlin, die sich auf dem schwankenden Gurkenfass zusammendrängten: »Di-ta, Di-ta!«
Magda schloss die Augen und sah ihren Bruder auf sich zukommen. Das weiße Gesicht ihrer Mutter blieb irgendwo in der Menge zurück. Der muss jetzt erst mal in einen Waschzuber, dachte sie und gab sich einen Ruck, um sich durch die Scharen johlender Berliner ihren Weg zu bahnen.
38
Dass Novizen, ehe sie ihre Gelübde leisteten, von ihren Vertrauten Abschied nahmen, war im Grauen Kloster nicht nur gestattet, sondern erwünscht. Lentz hatte Magda seinerzeit in seinem Brief dazu eingeladen, doch damals war sie nicht in der Lage gewesen, der Einladung Folge zu leisten. Diesmal hingegen kannte sie kein Zögern.
Ihren Wunsch, sich nicht in einem engen Raum des Klosters zu verabschieden, hatte Thomas respektiert. Der Tag war noch schön für einen der letzten im Oktober, zwar kühl, doch reicher und goldener als manche Sommertage. Sie holte ihn an der Stadtmauer ab, und Seite an Seite gingen sie noch einmal hinaus über die Roggenfelder, bis an den Rand des Eichenwaldes mit den Schlehensträuchern. Die Zweige, an denen die Früchte kaum sichtbar gewesen waren, hingen jetzt schwer von blauen Beeren. »Aber essen kann man sie noch immer nicht«, bemerkte Magda unvermittelt.
Thomas lächelte. »Nein. Nicht vor dem ersten Frost. Aber dann sind sie das ganze Warten wert.«
»Du siehst gut aus«, sagte sie, was eine Untertreibung war. Sein Körper wirkte gesund und kräftig, die Gesichtsfarbe blühend und das Lächeln weit. Sein Haar lag ihm so dicht und glänzend um den Kopf, dass sie mit einer Spur Wehmut die Hand ausstrecken wollte, damit es in den Genuss einer letzten Liebkosung kam. Er sah aus wie ein Mann, der sich selbst geheilt hatte, der seinen Platz im Leben gefunden hatte und sich daran freute, ihn auszufüllen.
»Und du bist schön«, sagte er.
»Du kannst noch immer nicht lügen, oder?«
Er lachte, schloss sie in die Arme und schwang sie im Kreis um sich herum. »Nein, schöne Magda aus Berlin. Und warum sollte ich?«
»Weil du ein netter Mann bist. Weil du mich immer tröstest, wenn ich fürchte, dass die Welt untergeht.«
»Ich bin kein netter Mann. Nur einer, der diese Monate lang mit dir glücklich war, selbst wenn zwischendurch die Welt unterging.« Er setzte sich mit ihr ins Gras, das heute leidlich trocken war, brach einen Zweig wilder Minze ab und schob ihn sich zwischen die Zähne.
Magda musste lächeln. Ja, sie war auch glücklich gewesen, so sehr, dass von dem Glück noch reichlich übrig war, um sie zu wärmen, wenn die Welt das nächste Mal drohte unterzugehen.
Untergegangen war sie, als Fischer nicht weit vor der Stadt Utz’ Leichnam aus der Spree gezogen hatten. Lentz hatte Recht behalten: Um seine Seele zu retten, hatte Utz seine Taten sühnen müssen. Nur ein Unmensch hätte einem anderen das Leben nehmen und sein eigenes unbeschwert fortsetzen können. Utz war kein Unmensch gewesen. Vermutlich hatte er sich ertränkt, gleich nachdem er den Brief an den Rat verfasst hatte, aber beweisen konnte es niemand. So wie ihm ohne sein
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