Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
seinen Handrücken zog.
»Bitte kauft mir nichts.«
»Was dann? Wenn Ihr mir noch einmal sagt, ich soll verschwinden, erfülle ich Euch den Wunsch und drehe mich nicht wieder um«, warnte er sie, doch in seiner Stimme glaubte sie die Spur eines Lachens zu vernehmen.
Er war ein Geistlicher, der letzte Mensch auf der Welt, dem sie vertrauen durfte, und sein Betragen war herablassend und kalt. Dennoch hatte er etwas an sich, das sie wärmte. »Weshalb habt Ihr Euch überhaupt umgedreht?«, fragte sie.
Er hob die Hände. »Das frage ich mich selbst.«
Sie brauchte dringend Hilfe, und dies war kein Augenblick, um sich albernen Stolz zu leisten. Dennoch verschloss sich ihre Kehle und gab die Worte nicht frei.
»Ihr braucht Hilfe, aber Ihr könnt mich nicht darum bitten«, sagte er.
»Was seid Ihr? Ein Hellseher?«
»Nein. Ich hatte nur das Gefühl, in einen Spiegel zu blicken.«
Ihre Lage war wirklich nicht zum Lachen angetan. Dennoch entfuhr ihnen beiden ein Prusten. Sie mussten verrückt sein! Mönch hin oder her, du bekommst einen Stein in meinem Brett, beschloss Magda verwundert. Ich dachte, so etwas gäbe es gar nicht, einen Mann, der über sich selbst lachen kann.
»Ich brauche in der Tat Hilfe«, sagte Magda. »Aber als Mönch werdet Ihr sie mir nicht geben können, weil Ihr Euch hinter Klostermauern verkriecht und Euch vor dem Lärm der Welt die Ohren zuhaltet.«
»Das wäre manchmal in der Tat ein Segen«, sagte er und deutete mit dem Kopf in Richtung Marktplatz mit all seinem Getöse. »Aber ich bin kein Mönch. Nur ein Postulant.«
»Und was soll das sein?«
»Einer, der erst noch ein Mönch werden will.«
Sie hätte ihn liebend gern gefragt, warum er etwas wollte, das augenscheinlich so wenig zu ihm passte. Seine Stimme klang ein wenig verrucht, so, als müsste man es einem Priester beichten, dass man ihr gelauscht und sich dabei gewünscht hatte, er möge endlos weitersprechen.
»Franziskaner verkriechen sich zudem nicht hinter Klostermauern«, fuhr er fort. »Sie ziehen durch Städte, betteln um Almosen und hoffen darauf, dass jemand ihre Hilfe braucht und sie dafür bezahlt.« Auch sein Blick war ein wenig verrucht. Zugleich vertraut und verboten. Vielleicht lag es an der Farbe der Augen oder an den Schatten, die Brauen und Wimpern warfen. Vielleicht an der Unverhülltheit seines Blicks. Etwas daran war … nackt.
»Ich kann Euch für Eure Hilfe nicht bezahlen.«
»Ich bin ja auch noch kein Mönch. Ist es Euer Bruder, um dessentwillen Ihr der Marktaufsicht die Tür einschlagen wolltet?«
Magda nickte. Jäh wurde ihr vor Schwäche schwindlig. Der Mann, der sie bisher nicht einmal mit den Fingerspitzen gestreift hatte, fing sie auf. Er hielt sie bei den Armen und weit von sich weg, als wären Menschenleiber ihm zuwider, doch er stützte sie. Wie von selbst sprudelte ihre Geschichte aus ihr heraus: Bechtolts Betrug mit dem unsäglichen Holzhaus, ihren törichten Versuch, an Geld zu kommen, und schließlich Utz’ Verhaftung durch den Marktmeister.
Als sie fertig war, führte er sie vom Haus der Aufsicht weg zu einem Lagergebäude, an dessen Wand sie sich lehnen konnte. »Ihr werdet Bechtolt aufsuchen müssen«, sagte er. »Was den Kauf betrifft, lässt sich nichts rückgängig machen. Euer Bruder hätte sich das Haus vorher zeigen lassen müssen, und da er das versäumt hat, ist er jetzt der Dumme. Aber zumindest wird Bechtolt Euch wohl helfen, ihn möglichst unbeschadet aus den Fängen der Marktaufseher zu befreien.«
»Ich weiß ja nicht einmal, wer dieser Bechtolt überhaupt ist und wo ich ihn finde.«
»Aber ich«, erwiderte er ruhig. »Er gehört zu den Oldermännern der Kaufmannsgilde. In seiner Macht steht es ohne Zweifel, Euren Bruder auszulösen. Wollt Ihr sofort gehen oder Euch eine Weile ausruhen?«
»Sofort!«
Der Fremde nickte, und sie machten sich auf den Weg.
Magda hatte angenommen, Utz’ Bekannter würde in der Nähe wohnen, doch da täuschte sie sich. Sie mussten beinahe vom einen Ende der Stadt zum anderen gehen, und bei der Gelegenheit lernte sie ihre neue Heimat kennen: die Große Straße, die so breit war, dass drei Bernauer Gassen nebeneinander darin Platz gefunden hätten, und in der Leute Kleider spazieren trugen, wie Magda sie am Königshof erwartet hätte. Der dunkle, wie ein Aalrücken schimmernde Fluss, die Lange Brücke, an deren Flanke sich das dreistöckige, backsteinrote Rathaus entlangzog, und der Mühlendamm, die zweite Brücke, auf der sich
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