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Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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dennoch das Herz besessen hatte, ihr zu helfen. Dafür mochte ihm in seinem Kloster eine Strafe blühen, und ihren Tadel hatte er wahrlich nicht verdient. »Es tut mir leid«, murmelte sie, den Blick zu Boden gesenkt.
    »Das braucht es nicht.«
    »Doch, ich …«
    »Ach was«, unterbrach er sie. »Dieses Zeug ist so schwer auszusprechen, und die Sache ist den Aufwand nicht wert. Ihr habt Angst um Euren Bruder. Wie sollt Ihr da herumstehen und in aller Höflichkeit mit mir palavern?«
    Verblüfft und dankbar blickte sie auf. »Ja, genau so ist es – ich bin nicht zornig auf Euch, sondern auf diesen Bechtolt und die ganze Lage. Und auf mich selbst, weil ich eine solche Idiotin war.« Tränen nahmen ihr die Sicht, und Erschöpfung übermannte sie. Er fing sie auf, zog sie an sich und schloss sie schützend in den Armen ein. Noch während sie haltlos in den rauen Stoff seiner Kutte schluchzte, fiel ihr ein: Ich habe noch nie in den Armen eines Mannes geweint. Ich hatte keine Ahnung, dass an der Brust eines Mannes so viel Platz zum Weinen ist. Hatte sie seit Barbaras Tod überhaupt je aus anderen Gründen als aus Zorn geweint? Sie erinnerte sich nicht. Nur dass sie sich sehnlichst gewünscht hatte zu weinen, als Endres gestorben war, wusste sie – und dass ihre Augen geschmerzt hatten, so trocken waren sie. Jetzt jedenfalls hielt das Weinen an, als hätte es ein ganzes Leben wettzumachen.
    Als sie sich endlich beruhigte und wieder Luft bekam, hob sie beschämt den Kopf und sah durch Schleier zu ihm auf. Er betrachtete sie. Seine Züge waren reglos, der Blick seiner Augen wie tief versunken. Mit zwei Fingern nahm er schließlich den Ärmel seiner Kutte und begann, ihr das Gesicht zu trocknen. Als er bemerkte, dass sie unter dem kratzenden Stoff zusammenzuckte, ließ er den Zipfel fallen. Sacht und sorgsam trocknete er ihr Gesicht mit den Fingerspitzen. Nicht nur Wangen und Augen, auch das Stück Haut zwischen Nase und Mund. Magda hielt den Atem an.
    »Warum tut Ihr das?«, fragte sie überwältigt, als sie wieder in der Lage war zu sprechen.
    Er zuckte die Schultern. »Weil man es nicht nicht tun kann, oder? Ich habe nichts bei mir, nicht den kleinsten Fetzen Stoff, und Ihr habt geweint. Was soll ich also machen?«
    Seine Unsicherheit wirkte an einem so großen, so selbstherrlichen Mann derart verblüffend, dass sie lachen musste. In seinen Augen zuckte etwas. »Verzeiht«, sagte Magda, und jetzt war es ganz leicht. »Ich habe Euch nicht auslachen wollen.« Warum sie gelacht hatte, konnte sie sich nicht erklären. Vielleicht weil sie gerade begriffen hatte, warum er ein Mönch werden wollte, auch wenn die seltsame Sinnlichkeit, die Gott ihm verliehen hatte, sich dagegen regelrecht zu sträuben schien.
    Über was denke ich denn nach? Sie fühlte sich ertappt. Meinem Bruder droht der Verlust seiner Ehre, und mir gehen Bilder durch den Kopf, von denen ich nicht einmal wusste, dass ich sie kannte.
    Er würde ein guter Mönch werden. Einer, der nicht wegschaute. Dabei hätten sowohl Utz als auch Diether und der Großvater getönt, dass es gute Mönche nicht gab, und auch für Magda ging jeder Gedanke an den geistlichen Stand mit Gedanken an Pater Honorius und maßlosem Zorn einher.
    Schweigend traten sie den Rückweg an und ließen das vornehme Marienviertel hinter sich. Schnell zog die Dämmerung auf, das geschäftige Treiben verebbte, und es war zum zweiten Mal Abend in Berlin. Hatte Magda zuvor nur die schillernd bunten Farben bemerkt, so entdeckte sie jetzt auf einmal Gestalten, die in völligem Grau durch die Gassen zogen, ihre Kinder oder ein Bündel Gepäck an sich pressten und sich an den Mauern entlangdrückten.
    »Wer sind die?«
    »Flüchtlinge«, erwiderte ihr Begleiter. »Aus der Neumark.«
    »Haben sie keine Unterkunft?«
    »Die wenigsten. In ihrer Heimat sind sie den polnischen Schlächtern entkommen, und hier erfrieren sie in den Straßen.«
    »Nehmen die Klöster sie denn nicht auf?«
    »Doch«, antwortete er. »Auch die Spitäler. Aber bisher sind schon tausend gekommen. Es heißt, es gebe nirgendwo mehr Platz.«
    Sie sahen sich an. Dachte er an Bechtolts palastähnlichen Wohnsitz wie sie? Über das hölzerne Haus am Krögel wollte sie nie wieder klagen. Wäre Utz sicher daheim gewesen, wäre ihr nichts mehr hart oder übel erschienen.
    Über den Olden Markt, der sich geleert hatte, strebten sie ihrer Gasse entgegen. Als ihr Begleiter einbiegen wollte, blieb Magda stehen. »Ich möchte noch einmal dorthin«,

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