Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
sich gefügt. Vom Olden Markt wehte ihnen durch den Schneeregen beißender Gestank entgegen. Gerade dort, wo ihre Gasse in den Platz mündete, hatten die Fischhändler ihre Stände aufgebaut. Ihre Stimmen überboten sich gegenseitig, während sie die angebotenen Waren – glitzernde Heringe, fette Aale, die noch zu zappeln schienen – hoch über den Köpfen der Kunden schwenkten. Der Platz wogte und waberte vor Menschenleibern. Mit einiger Mühe entdeckte Magda vor der gegenüberliegenden Häuserzeile eine Reihe von Ständen, an denen Händler Getreide anboten. »Dorthin!«, rief sie und zerrte Utz mit sich, dem Menschenstrom entgegen. Unter Knuffen, Püffen und Flüchen zwängten sie sich durchs Gewimmel auf die andere Seite. Da sich nicht der kleinste freie Scharren mehr fand, stellte Magda ihren Sack einfach in eine Lücke zwischen zwei Verkaufsstände.
Sie hatte nie zuvor etwas anderes als Bier verkauft, aber so schwierig konnte das schließlich nicht sein. Die Preise kannte sie – für zwanzig Pfund Roggen würde sie anderthalb Schillinge verlangen, und ansonsten würde sie sich einfach abschauen, wie die anderen es anfingen.
Die anderen brüllten. Priesen bis zur Heiserkeit ihre Waren an, um das Getöse ringsum zu übertönen. Gänse schnatterten, Schweine quiekten, Weiber feilschten, und auf dem Stuhl des Zahnreißers heulte sich ein Mann die Seele aus dem Leib. Das ein wenig schräge Spiel der Sackpfeifer rief Magda vergangenen Frohsinn in Erinnerung. Eigentlich ist es hier gar nicht so übel, durchfuhr es sie. Es tat gut, wieder unter Menschen zu kommen, wieder zu einer Gemeinschaft zu gehören. »Berliner Roggen!«, brüllte sie aus Leibeskräften im Chor der anderen mit, denn das hatte sie Ulf sagen hören. »Bester, reinster Berliner Roggen, beliebt von der Ostsee bis zum Erzgebirge!«
Ein Mann, den ihre Bemühungen offenbar zum Lachen brachten, blieb vor ihr stehen. Zur bestickten Haube trug er eine grüne Schecke und um die Hüften einen breiten beschlagenen Gürtel. Also besaß er Geld, gehörte womöglich der Innung der Bäcker an und wäre als erster Kunde ein trefflicher Fang. »Magda, um alles in der Welt«, zischelte Utz in ihrem Rücken, aber Magda schenkte ihm keine Beachtung.
»Du verkaufst also Roggen?«, fragte der Mann und zupfte an Magdas Sack.
Magda nickte eifrig. »Nicht nur den – auch Dinkel, Hafer, Gerste und besonders feinen Weizen, alles, was das Herz begehrt. Lasst mich nur wissen, welche Sorte Ihr zu prüfen wünscht, und ich schaffe sie aus unserem Kontor am Krögel her.«
»So, so«, brummte der Mann, schwang herum und vollführte mit dem Arm eine Geste, als winke er aus der Menge jemanden heran. Dann baute er sich straff vor Magda auf und blaffte: »Ich werde dir sagen, welche Sorte ich zu sehen wünsche: Deine Genehmigung, hier Waren feilzubieten, will ich sehen, oder wohl besser die von deinem Buhlen.«
»Ich bin ihr Bruder«, murmelte Utz.
»Von mir aus kannst du der Papst in persona sein – ich jedenfalls bin hier Marktmeister, mich kratzt deine Genehmigung und sonst nichts.«
»Meine Schwester wusste nicht, dass wir eine benötigen.« Utz sprach jetzt so leise, wie Endres oft gesprochen und damit Magda zum Wahnsinn getrieben hatte.
Prompt legte der Marktmeister eine Hand ans Ohr. »Geht’s lauter? Ich verstehe kein Wort.«
»Meine Schwester wusste nicht, dass wir eine Genehmigung brauchen. Wir sind gestern erst angekommen, aber ich bin Utz Harzer, Mitglied der Kaufmannsgilde, ein Freund von Herrn Bechtolt …«
»Ich habe dir schon einmal gesagt: Wer du bist, kratzt mich nicht. Keine Genehmigung also? Dann kommst du jetzt mit, und Schluss mit dem Palavern.«
Zwei der Stadtknechte, die er herbeigewunken hatte, packten Utz unter den Armen und schleiften ihn davon, ehe Magda sich aus ihrer Schreckstarre lösen konnte. Ein Dritter lud sich beide Säcke zugleich auf die Schultern und schleppte sie hinterdrein.
»Lasst ihn los!«, rief Magda und rannte den Männern nach, drängte sich zwischen Mensch und Tier hindurch und musste sich immer wieder auf Zehenspitzen recken, um zu erspähen, wohin die Männer ihren Bruder schleppten. »Er kann nichts dafür, es ist doch alles meine Schuld!«
Andere Schaulustige, die johlten und feixten, versperrten ihr den Weg. Sie sah gerade noch, wie die Stadtknechte mit Utz im Haus der Marktaufsicht verschwanden und wie die wuchtige Eichentür sich hinter ihnen schloss. In ihrer Verzweiflung schrie sie auf und trommelte mit den
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