Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
Verkaufsbuden drängten und in deren Schatten die Räder dreier Wassermühlen sprudelten.
Hätte Magda die Stadt mit einem einzigen Begriff beschreiben müssen, so hätte sie das Wort emsig gewählt. Überall schienen Menschen damit beschäftigt, etwas zu bauen, instandzusetzen, zu verladen oder aufzustapeln, und durch die Luft hallte Hämmern, Sägen, Schleifen, Fluchen und Pfeifen. Wie zuvor dachte sie: Eigentlich ist es hier gar nicht so übel. Wären die Umstände anders, vielleicht fände ich es schön.
Das Viertel, in das sie schließlich gelangten, bestand gänzlich aus breiten, fest angelegten Straßen und neu erbauten Steinhäusern, von denen eins das andere an Pracht übertrumpfte. Jungen mit Besen und Kübeln flitzten umher, um Straßengräben und Kloaken zu säubern, und der unverwechselbare Gestank, der überall dort in Schwaden hing, wo Menschen beieinander hausten, schien um diese Gegend einen Bogen zu machen. Über Giebeldächern sah Magda einen Kirchturm aufragen, den sie wiedererkannte. »Die Marienkirche, nicht wahr?«
Ihr Begleiter nickte. »In ihrem Schatten ist der Neue Markt entstanden. Wenn Euer Bruder in dieser Stadt zu etwas kommen will, wird er sein Kontor hierher verlegen und am besten ein zweites am Flussufer eröffnen müssen. Beim Mühlendamm, wo die Fernhändler ihre Waren gemäß dem Stapelrecht zum Kauf anbieten.«
Warum hatte Utz davon nichts gewusst? Warum hatte dieser Bechtolt ihm erzählt, es gäbe keinen besseren Standort als den Olden Markt? Wie eine kalte Hand legte sich Angst in Magdas Nacken und jagte ihr einen Schauder den Rücken hinunter. »Wenn der Herr Bechtolt mich nun nicht anhört …«, begann sie und ließ den Rest der Frage in der Luft hängen.
Ihr Begleiter blieb mit ihr stehen. Auch jetzt fasste er sie nicht an, doch sein Blick hatte etwas von einer tröstenden Berührung. »Keine Sorge. Mich hört er an.«
»Wer seid Ihr denn so Besonderes?«, entfuhr es ihr patzig.
»Franziskaner«, antwortete er, ohne sich reizen zu lassen. »Zumindest gebe ich vor, einer zu sein.«
»Und das öffnet Euch Türen?«
»Bei der Gilde durchaus. Die Herren Kaufleute stellen sich mit dem Grauen Kloster gern gut.« Er ging weiter, und sie schloss sich an.
Als sich ihr Herzschlag nach ein paar Schritten noch immer nicht beruhigt hatte, begann sie noch einmal: »Bitte sagt es mir: Wenn niemand Utz hilft – was geschieht dann mit ihm?«
Wieder blieb ihr Begleiter stehen, und diesmal hatte sein Blick nichts Tröstendes. Die Muskeln seiner Kiefer spannten sich so hart, dass sie deutlich hervortraten. »Dann wird für die Störung der Marktordnung eine Leibesstrafe an ihm vollzogen«, antwortete er kalt.
Magdas Hände krampften sich zusammen. »Eine entehrende Strafe?«, stammelte sie, die Stimme nur noch ein Flüstern.
Noch immer war sein Blick so kalt, dass sie glaubte zu erschaudern. »Das kommt darauf an. Wenn der Marktmeister sich damit begnügt, die Sache selbst zu erledigen, mag es bei einer Anzahl hinter verschlossener Tür verabreichter Stockschillinge bleiben. Wenn er den Fall dagegen als Friedensbruch ans Stadtgericht verweist, wird Euer Bruder öffentlich gestäupt.«
Wie konnte er diese Abscheulichkeiten so gleichgültig aufzählen? »Eure Art, davon zu sprechen, ist widerlich«, warf sie ihm ins Gesicht.
»Ich habe Euch nicht gezwungen mir zuzuhören.«
Damit hatte er unleugbar Recht. Sie brauchte seine Hilfe, nicht er die ihre. Sie riss sich zusammen. »Das darf nicht geschehen«, sagte sie. »Ich lasse nicht zu, dass Utz geprügelt wird, und schon gar nicht, dass man ihm seine Ehre nimmt.«
»Dann kommt.« Ohne ein weiteres Wort überquerte er den Platz mit der Kirche, der trotz des trüben Wetters mit einem Gewirr von Farben protzte und vor Leben schier aus den Nähten platzte. Die imposante Größe ihres Begleiters bahnte ihnen den Weg in eine gepflasterte Gasse. Vor einem Stadthaus mit himmelwärts weisenden Backsteingiebeln blieb er stehen. »Hier wohnt Bechtolt.«
Magda wollte die Hand nach dem Klopfer ausstrecken, war aber dankbar, als der Fremde ihr zuvorkam. Alles traf ein, wie er es vorausgesagt hatte: Dem Hausknecht, der ihnen öffnete, stellte er sich als Ordensbruder des Grauen Klosters vor, und wenig später erschien ein Mann, dessen Gewand und Leibesumfang den Hausherrn verrieten. Eine blaugrün schimmernde, elegant gezaddelte Schecke spannte sich über einer Wampe, die den teuren Samt zu sprengen drohte. Spitze Schnabelschuhe aus kunstvoll
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