Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
gewebtem Brokat verliehen seinen Füßen die Länge veritabler Flusskähne. Um dieses unglaubliche Schuhwerk überhaupt in Form zu halten, hatte er dessen Spitzen mit Fäden an seinen prallen Waden festgeknotet.
Der Dicke wollte Magdas Begleiter einen Beutel mit Almosen reichen, doch der hob abwehrend die Hand. »Dieses Mal komme ich nicht, um Geld zu sammeln«, sagte er. Dann erzählte er in knappen Worten, was Utz und Magda widerfahren war.
Der Dickwanst zögerte eine Weile, dann aber warf er den Kopf zurück und öffnete die Arme, wie um Magda darin einzuschließen. »Ja, wer sagt es denn! Seid Ihr also alle miteinander in unserer schönen Stadt eingetroffen. Sie ist kein Köln, sie ist kein München, aber das alles und mehr wird sie werden. Ist es nicht herrlich, das Seine dazu beizutragen? Und Ihr also seid die Schwester meines Freundes Harzer – wie erfreulich. Gern würde ich Euch mit uns zu Tisch bitten, doch ich fürchte, meine Gattin ist darauf nicht eingerichtet. Wir holen es nach, nicht wahr? Ein andermal.«
»Habt Ihr nicht gehört? Mein Bruder ist verhaftet worden!«, brach es aus Magda heraus, die das Gebaren des Dicken nicht fassen konnte.
»Ach ja, das dumme Missgeschick, das der Harzer sich da geleistet hat. Das überlasst nur mir, meine Beste. Ich verspreche, ich rücke die Dinge schon wieder zurecht.«
»Können wir dann jetzt gleich zurück zum Olden Markt …«
»Aber nicht doch«, fiel der Dicke ihr mit butterweicher Stimme ins Wort. »Wir haben Gäste zum Nachtmahl, meine Schwester mit Gatten, und man lässt doch seine Gäste nicht vor vollen Schüsseln darben. Geht nur heim, meine Liebe, lebt Euch ein, erholt Euch von der Reise. Vor morgen früh geschieht ohnehin nichts, und gleich dann mache ich mich auf den Weg, um diese dumme Sache zu bereinigen. Zu Mittag habt Ihr Euren Bruder wieder – gesund und um eine nützliche Lehre reicher.«
Der Gedanke, Utz über Nacht in den Klauen dieser Leute zu lassen, war unerträglich. Magda wollte sich von dem vollgefressenen Kerl, der ja an der ganzen Misere schuld war, so nicht abspeisen lassen. Sie stieß ihm einen Schwall von Schimpfworten entgegen und schob, als er nicht reagierte, ihren Fuß in den Spalt. Der Dicke aber ließ sich davon nicht beirren und schlug die Tür nur umso schwungvoller zu. Um sie aufzuhalten, steckte ihr Begleiter seine Rechte dazwischen und riss Magda mit der Linken zurück. Ihr Fuß war gerettet, doch die Finger des Mannes klemmten fest.
Ein Zischlaut entfuhr ihm. Entsetzt stieß Magda die Tür wieder auf. Dahinter kam der Dicke zum Vorschein. Er wackelte grinsend mit dem Zeigefinger. »Hab ich dich wenigstens tüchtig erwischt? Wer nicht hören will, muss fühlen, Freundchen, und jetzt sieh besser zu, dass du weiter kommst. Ansonsten könnte ich nämlich auf den Gedanken verfallen, meinen Freunden vom Kloster zu erzählen, was du hier treibst – eine Lektion mit der Birkenrute würde dir gewiss nicht schaden.«
Damit schlug er die Tür endgültig zu. Magdas Begleiter betrachtete seine misshandelten Finger, an denen sich die Quetschungen blaurot verfärbten.
»Tut es sehr weh?«, fragte Magda leise.
»Nein«, log er, bog die Finger durch und verbiss sich einen Laut.
»Ihr braucht vor mir nicht den strammen Maxen zu markieren.«
Verwundert blickte er auf. Eine feine Röte breitete sich über sein Gesicht aus, bis hinauf zu den Ohren. Auf einmal wirkte er verletzlich und so jung, wie er vermutlich war.
Im Graben bei der Straße lag noch ein Rest vom Schnee. Magda hob einen kleinen Ballen davon auf und klopfte ihn flach. Resolut griff sie nach seiner Hand und legte den Schnee auf die verletzten Finger. Während er schmolz, ruhte seine Hand in der ihren. Er hielt vollkommen still. »Wenn Ihr Euch noch lange mit mir abgebt, ist Eure Hand bald nicht mehr zu gebrauchen.«
»Das macht sich beim Betteln nicht schlecht.« Sein Ton hatte nichts Beißendes mehr, sondern war nur noch traurig. Sacht zog er seine Hand zurück. »Es wird dunkel. Ich bringe Euch jetzt besser nach Hause.«
»Aber was wird denn mit Utz?«, rief Magda.
»Vielleicht hält Bechtolt ja Wort.«
»Glaubt Ihr daran?«
Er schluckte hart. »Nein«, sagte er dann.
»Und meinen Bruder wollt Ihr seinem Schicksal überlassen?«, fuhr sie auf, schlug sich jedoch gleich darauf die Hand vor den Mund. Dass Utz in der Marktaufsicht gefangen saß, war ihre Schuld, nicht seine. Er war nur ein Fremder, dem ihr Schicksal gleichgültig sein konnte und der
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