Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
sagte sie. »Zur Marktaufsicht. Noch einmal darum bitten, mich anzuhören.«
»Das ist sinnlos.«
»Aber ich kann es doch nicht einfach geschehen lassen!«
»Hört zu«, sagte er und unterdrückte ein Stöhnen. »Ich kann Euch nichts versprechen, aber ich werde versuchen, mit dem Guardian meines Klosters zu reden. Wenn er sich bei Bechtolt verwendet, wird der ihm die Bitte kaum abschlagen.«
»Und wenn nicht?«
»Dann bleibt mir noch ein Ausweg«, sagte er. »Aber der ist der letzte, ich werde ihn nur im Notfall einschlagen und nicht darüber sprechen, verstanden? Morgen früh gebe ich Euch Bescheid, und jetzt müsst Ihr schlafen. Wenn Ihr zusammenbrecht, nützt Ihr Eurem Bruder gar nichts.«
»Ich kann das nicht glauben«, murmelte Magda matt und schämte sich.
»Was?«
»Dass Ihr noch einen Ausweg wisst, wenn Euer Guardian uns nicht helfen will.«
Ein paar Augenblicke lang schwieg er völlig still. Er ist zornig auf mich, dachte Magda. Und das völlig zu Recht. Er hat getan, was er konnte, und dafür misstraue ich ihm. Weshalb sollte er noch einen Finger für mich krümmen?
»Also schön«, sagte der Fremde wie von weit her. »Lesen könnt Ihr, oder?«
Magda nickte.
Daraufhin förderte er aus dem Halsausschnitt der Kutte einen gesiegelten, aufgebrochenen Brief zutage, riss einen Streifen ab und faltete ihn. »Das ist mein letzter Ausweg«, sagte er und schob ihr das Papier in die Hand. »Wenn ich Euch morgen keine Nachricht bringe, dann sucht diesen Mann auf. Geht allein, zeigt ihm den Fetzen und bittet ihn, Euch zu helfen. Sagt ihm, es sei der Preis, um den er gebeten hat. Falls Euer Bruder aber morgen befreit ist, versprecht mir, den Fetzen nicht zu öffnen und nicht zu lesen.«
Sie wollte ihm danken, er aber hielt ihr den verletzten Zeigefinger so dicht vor den Mund, dass er beinahe ihre Lippen berührte. Dann wandte er sich ab und ging über den dunklen Platz davon.
14
Diether widerte sich an. Gehörte das aufgedunsene, schlecht rasierte Gesicht mit den umschatteten Augen, das ihm aus dem Spiegel entgegenstierte, wahrhaftig ihm? War das Diether Harzer, bei dem keine Jungfer in der Mark hatte züchtig bleiben können? Welche von denen, die sich nach ihm verschmachtet, die gedroht hatten, seinetwegen ins Wasser zu gehen, sähe ihn jetzt noch mit dem Hintern an? Sein Hemd hing zerschlissen und schmuddelig an ihm herunter. Wie sollte er eigentlich lernen, sich wieder wie ein Mensch von Wert und Würde zu fühlen, wenn er aussah, als hätte er beides nie besessen?
Dieses Unterfangen mit Berlin war gründlich schiefgegangen. Utz hatte es in den Sand gesetzt, wie die ganze Stadt auf Sand gebaut war. Komm an meine Brust, Bruder, dachte Diether. Er und Utz setzten in den Sand, was immer sie anpackten. Wie es weitergehen sollte, wusste niemand, und die, die früher den Karren aus dem Dreck gezogen hatten – Lentz, der Großvater, Endres –, waren nicht mehr fähig dazu. Blieb allein Magda. Um die Last, die sie schleppte, tat es Diether in der Seele weh, doch er war der Letzte, der ihr helfen konnte.
Sie waren vom Pech verfolgt. Gleich am ersten Tag hatte Utz sich auf dem Marktplatz wegen irgendeines Unsinns festnehmen lassen. Zwar war es Magda mithilfe dieses Mönchs, den sie aufgegabelt hatte, gelungen, ihn auszulösen, doch dafür hatte eine Buße bezahlt werden müssen. Dieser Bechtolt, der Utz betrogen hatte, streckte die Summe vor und nahm ihr Pferd und ihren Wagen in Zahlung. Zudem durfte Utz noch keinen Handel beginnen, da seine Aufnahme in die Gilde noch nicht durch das Siegel der Stadt Berlin bestätigt worden war.
Was denn dem noch im Weg stehe, hatte der arme Utz gefragt, er habe doch den Aufnahmebeitrag wie gefordert entrichtet, Haus und Grund nachgewiesen und den Eid geleistet. »Ach, da hakt es nur noch an einer Winzigkeit«, hatte Bechtolt mit einem klebrigen Lachen erwidert. »Zusätzlich zu dem Betrag in Geld sind vier Pfund in Wachs zu entrichten, von denen ein halbes als Spende dem Heilig-Geist-Spital zusteht. Uns Gildemitgliedern liegt nämlich die Pflege der Alten und Kranken am Herzen – wer das Vorrecht der Stadt genießt, trägt auch Verantwortung für sie, stimmt Ihr mir darin nicht zu? Diese Wachsspende steht nun von Euch noch aus, doch sobald Ihr sie eingebracht habt, seid Ihr mit Brief und Siegel einer von uns.«
Wachs kostete ein Vermögen, das wusste der Fettwanst nur zu gut. Sooft Diether an ihn dachte, ballten sich seine Hände zu Fäusten. Wie gern hätte er den
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