Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
dass ich ihn uns vom Leibe halte. Ich sehe ihn doch ohnehin nicht wieder. Er hat mir nicht einmal gesagt, wie er heißt.«
»Er hat schwarze Augen wie ein welscher Verführer.«
»Was für ein Unsinn. Hast du keine anderen Sorgen? Was ist mit dem Geld für das Wachs? Wird das, was der Jude dir gegeben hat, reichen?«
Utz nickte und leerte den Beutel in die Schatulle. »Auf den Pfennig.« Die Münzen klirrten. »Ein Bote von der Gilde kommt morgen Abend, um es abzuholen und die vier Pfund Lichtwachs einzukaufen. Ab Montag darf ich dann endlich meinen Handel eröffnen.«
»Vielleicht solltest du bei der Marienkirche nach einem Standort suchen«, warf Magda ein. »Der Postulant sagt, die wirklich guten Geschäfte werden jetzt alle dort auf dem neuen Markt oder am Mühlendamm gemacht.«
»Du sollst mir doch mit deinem verdammten Mönch vom Leibe bleiben!« Entsetzt sah Diether, wie sein beherrschter Bruder Magda grob am Arm packte. Gleich darauf gab er sie frei und ließ Kopf und Arme sinken. »Verzeih mir.« Er taumelte zum Schemel, ließ sich darauf niederfallen und begrub das Gesicht in den Händen. »Ich weiß nicht mehr, was ich tue. Die Sorgen erdrücken mich, mein Herz. Sie rauben mir den Verstand.«
»Nun lass doch gut sein.« Magda ging vor ihm in die Hocke und strich ihm das Haar aus der Stirn. »Es kann ja jetzt nicht mehr schlimmer werden. Nur besser, Utz. Denk einmal an die Flüchtlinge, sind die nicht bei Weitem übler dran als wir? Wir haben ein Dach überm Kopf, und wir haben uns, die Familie. Zu essen werden wir heute Abend auch reichlich haben, und wenn ich gewusst hätte, dass dich der dumme Mönch so aufregt, hätte ich ihn mit keinem Wort erwähnt. Der hat doch nichts mit uns zu schaffen.«
»Wirklich nicht?«
»Wirklich nicht.«
»Danke, mein Herz. Ich denke, dann werde ich jetzt ein wenig ins Rathaus gehen. In den unteren Hallen ist dort regelmäßig ein Kaufhaus aufgebaut, und unter dessen Händlern möchte ich mich umsehen. Vielleicht ist mir der Einstieg hier ja so kläglich misslungen, weil ich Berlin noch nicht gut genug kenne, noch nicht genug Verbindungen habe.«
»Bestimmt, Utz. Und das wird sich doch ändern.«
»Ja, jetzt, mit der Gilde, wird es sich ändern. Ein Mann muss einfach wissen, wohin er gehört, meinst du nicht auch? Sonst ist er nicht mehr als ein Schiffbrüchiger in einem schwankenden Kahn.«
»Wenn du’s sagst.« Sie stand auf und griff nach ihrem Korb. »Dann geh mal und schaukele deinen schwankenden Kahn übers Wasser, ich kaufe derweil unser Abendessen ein.«
Gemeinsam verließen die beiden das Haus. Diether, der sich erleichtert das Kratzen aus der Kehle hustete, blieb allein. Lentz’ Bettstatt war leer, er musste irgendwohin gegangen sein, und der Großvater zählte nicht, der hockte in seinem Kämmerchen und starrte ins Leere. Auf einmal hielt Diether es in dem zugigen, verqualmten Kasten nicht mehr aus. Sein verwahrlostes Äußeres vergaß er. Wenn sich Utz in der Stadt umsah, warum sollte er nicht dasselbe tun? Nur hinauskommen, ehe er erstickte, ehe die Bilder ihn einholten, jetzt, wo nicht einmal mehr Starkbier im Haus war.
Halb regnete und halb schneite es, doch wann tat es das nicht? Diether lief nicht zum Markt, wo ja Magda unterwegs war, sondern in die andere Richtung, die enge Gasse hinunter, ohne zu wissen, wohin sie ihn führte. Weiter als ein paar Schritte kam er nicht, dann verstellte ihm ein Bursche in Lederschürze den Weg. Über seinen Kopf hielt er ein Schild, das an einer geschmiedeten Stange schwankte. Diether erkannte das Rasierbecken, das Zeichen der Bader und Barbiere, die keiner Zunft angehörten. »Kommt baden, Leute, kommt baden!«, dröhnte der Bursche aus unglaublichen Lungen. »Warmes Wasser heute um Schlag eins, warmes Wasser heute um eins!«
Damit drängelte er sich an Diether vorbei, nicht ohne ihm einen prüfenden Blick zuzuwerfen. »Dir könnte ein schönes Bad auch nicht eben schaden, was?«, fragte er.
»Du sagst es, Neunmalschlau«, platzte Diether heraus. »Und erzählst du mir, so gelehrt, wie du bist, jetzt auch noch, wie unsereins das bezahlen kann?«
»Na komm, na komm, gar so grässlich wirst du sicher nicht am Hungertuch nagen. Ich mache dir einen Sonderpreis, was sagst du dazu?«
»Dass dir der Bader das Fell versohlen wird, das sage ich. Seit wann machen Knechte im Badehaus die Preise?«
»Seit der Bader seine Augen nicht überall haben kann. Schon gar nicht, solange er sie vornehmlich bei der
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