Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
zuckenden, feisten Hals zwischen seinen Fingern gespürt. Den Kaufpreis für das Wachs könne er Utz leider nicht vorstrecken, hatte Bechtolt leutselig erklärt. Als Kaufmann müsse man mit seinen Flüssigmitteln haushalten, aber Utz solle doch in den Judenhof gehen und sich dort an einen Verleiher wenden. Unterdessen würde Bechtolt die ganze Familie zu einer Nachtmahlzeit in sein Haus einladen. »Damit Ihr Euch erst einmal tüchtig satt essen könnt. Von Hungerleidern kauft niemand gern.«
Jenes Abendessen im Haus des Kaufmanns würde Diether sein Lebtag nie vergessen. Weder die faustdicken Teppiche an den Wänden noch das lodernde Feuer und die Wärme, die die Räume füllte. Weder die Pracht der Wandarme und Kerzenleuchter noch das schimmernde Weiß des Tafelleinens, geschweige denn die aufgetischten Köstlichkeiten. Er hatte nicht hingehen, am Tisch dieses Mannes keinen Bissen hinunterbringen wollen. Aber Stolz war etwas für volle Bäuche, und so erlag sein Widerstand im Nu der gepfefferten Kapaunenpastete mit Senf und Safran, dem Aal in dunkler Tunke, dem zarten weißen Brot und der Honigspeise im Ring aus kandierten Früchten. Ganz zu schweigen von dem mit Zimt und Blüten gesüßten Wein. Diether betrank sich wie nie in seinem Leben.
Es war nicht recht, dass einer wie die Made im Speck saß, dass er die Reste seinen Hunden hinwarf und noch darüber lachte, während andere sich nicht einmal menschenwürdig kleiden konnten. Diether warf noch einen Blick auf sein Gesicht, dann stieß er den Spiegel beiseite. Eine Stimme durchdrang das Brummen in seinem Schädel. Durch die dünnen Holzwände in diesem Haus blieb kein Geräusch verborgen.
»Nimm das. Mehr kann ich dir nicht geben. Kauf ein, was unbedingt nötig ist, alles Übrige muss wohl oder übel warten.«
»Der Jude hat dir also etwas geliehen?«
Utz und Magda. Auf Zehenspitzen schlich Diether sich aus dem Winkel, in dem er nächtigte, an die Treppe, damit ihm keine Einzelheit des Gesprächs entging. Wie üblich glich der untere Wohnraum einer Räucherkammer, weil die Feuerstelle nicht einmal notdürftig vermauert war. Diether musste gegen einen Hustenreiz kämpfen. Durch Schwaden des Qualms sah er Bruder und Schwester bei der Tür stehen. Utz hatte Magda aus einem Beutel Münzen in die Hand gezählt und trat nun vor den Spind, den sie aus Bernau mitgebracht hatten. »Ja, das hat er«, beantwortete er Magdas Frage und nahm die Schatulle heraus, die ebenfalls aus Bernau stammte. »Frag mich aber bitte nicht um welchen Zins.«
»Wäre es nicht besser, wenn ich dich fragte?«
Utz schüttelte den Kopf. »Nein, damit werde ich allein fertig. Ich habe euch in dieses Unglück hineingeritten, und ich ziehe euch auch wieder heraus. Schlimm genug, dass du mich beim Marktmeister auslösen musstest.«
»In das Unglück hatte ich dich ja geritten«, bekannte Magda. »Außerdem habe nicht ich dich ausgelöst, sondern der Postulant.«
»Der Postulant«, höhnte Utz und klang, als wäre ihm schlecht. »Tu mir einen Gefallen und quäle mich nicht mehr mit diesem Mönch! Ich könnte mich ununterbrochen übergeben, wenn ich nur daran denke, dass ich diesem kuttetragenden Nasehoch meine Rettung verdanke. Die Männer des Papstes sind es, die sich nicht scheuen, dieses Land dem Erdboden gleichzumachen. Schau dir die Scharen der Kriegsflüchtlinge in der Stadt gut an, und dann versprich mir, dass du dir und uns jenen Menschen künftig vom Leibe hältst. Wenn er dir lästig fällt, erstatte ich seinem Kloster Meldung.«
»Er fällt mir doch nicht lästig, Utz«, erwiderte Magda mit eigenartigem Lachen. »Er ist ein Mann Gottes.«
»Das sind die Wüstesten. Hast du vergessen, was einer von denen dir angetan hat?«
Magda schlug den Blick zu Boden. »Ich werde es nie im Leben vergessen«, sagte sie. »Pater Honorius hat mir das Liebste genommen, das ich hatte. Aber deshalb zu glauben, jeder Mann in einer Kutte sei ein messerstechender Mörder, wäre ein wenig übertrieben, oder nicht?«
Diether in seinem Versteck unterdrückte nur mit Mühe ein Lachen. Seine Schwester konnte bis zum Hals in der Jauche sitzen, sie besaß noch immer eine Art, die Dinge beim Namen zu nennen, die schlichtweg erfrischend war.
»Sieh dich vor, mein Herz.« Utz hielt sich die Hand vor die Stirn und stöhnte. »Ich wünschte, ich hätte die Mittel, dich zu schützen.«
»Jetzt lass das doch.« Magda trat zu ihm und klopfte ihm auf den Arm. »Wenn dir so viel daran liegt, verspreche ich dir,
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