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Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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zusammen, bis sie gezwungen war, sie zu öffnen und seine Hand freizulassen. Der Anblick brachte sie zur Besinnung. Zahn um Zahn hatte sich ihr Gebiss in sein Fleisch gekerbt. Ein Tropfen Blut quoll ganz langsam durch die geäderte Haut.
    Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Alles, nur nicht: Es tut mir leid.
    Er wischte sich die Hand an der Kutte ab und sagte: »Kommt mit, ehe es hier vor Menschen wimmelt.« Er trat an ihr vorbei aus dem Portal und hielt ihr die Tür auf. Die Helligkeit blendete sie. Wie betrunken taumelte sie auf die Straße. Als er sah, dass sie kaum Fuß fassen konnte, reichte er ihr seinen Arm und führte sie in schnellen Schritten in eine Seitengasse, die sich in den Schatten der Mauer schmiegte. Willenlos ließ Magda sich mitziehen.
    Die Schänke duckte sich unter einen Rundbogen, der zwei Türme verband. Ein Birnbaum hatte seinen halb ausgehöhlten Stamm um den Eckpfeiler des Hauses geschlungen und die Äste seiner Krone mit den Dachstreben regelrecht verflochten. Dementsprechend lautete denn auch der Name des Gasthauses: Zur hohlen Birne. Das Dunkel, das sie empfing, war eine Wohltat. Am liebsten hätte Magda sich hier verkrochen, bis ihr Leben auf irgendeine Weise wieder ins Gleichgewicht geriet. Es roch nach Torfrauch, nach Gebratenem und schwach nach Kräutern, die sie mochte: Salbei, Minze und Liebstöckel. Der Schankraum war größer, als es von außen den Anschein hatte, und wirkte sauberer, als es in derlei Kaschemmen üblich war.
    Ihr Begleiter führte sie in den Winkel hinter dem Schanktisch an einen Tisch mit nur zwei Stühlen. »Ich fürchte, der Wirt wird Euch für meine Geliebte halten«, sagte er. »Aber Gerede gibt es nicht. Er ist es gewohnt, dass Männer hierherkommen, wenn sie samt ihrer Begleitung ungesehen beim Wein sitzen wollen, und er kann schweigen wie ein ganzer Kirchhof.«
    »Ihr kommt wohl oft hierher.« Warum sagte sie das? Was konnte es sie scheren, und welches Recht hatte sie, ihn auf Herz und Nieren zu befragen?
    Sein Blick traf sie wie eine Herausforderung. »Früher bin ich oft hergekommen, ja. Jetzt nicht mehr.«
    Sie wusste nichts zu erwidern.
    »Setzt Euch hin«, forderte er sie auf. Dann ging er zum Schanktisch, sprach mit dem grauhaarigen, geradezu liebevoll schmunzelnden Wirt und kam gleich darauf mit einem Korb zurück, in dem sich ein Laib Brot, rote Zwiebeln und ein Batzen Käse drängten. Der Wirt folgte ihm mit einem Krug und zwei Bechern. Sie waren die einzigen Gäste in der Schänke.
    Der Franziskaner förderte ein Messer zutage, säbelte eine Scheibe von dem Brot ab und legte sie vor Magda hin. Käse und Zwiebeln hobelte er in dünne Scheiben, die er auf der Brotscheibe schichtete. Verwundert sah sie seinen Händen zu, die sich gewandt, doch ohne Hast bewegten. Schlanke Hände mit schmalen Gelenken, die zu dem kraftvollen Wuchs nicht recht passten. Über Handrücken und Knöchel der Rechten zogen sich die Narben, die er ihr zu verdanken hatte. Als er fertig war, schenkte er ihr aus dem Krug den Becher voll. Wein, kein Bier. Nicht golden, sondern rot wie dunkles Blut.
    »Trinkt nicht auf leeren Magen«, sagte er. »Das Essen ist gar nicht so übel – in jedem Fall sicherer als Kesselfleisch, bei dem man nicht weiß, was in der Tunke schmort.«
    »Warum tut Ihr das?«
    Er zuckte die Schultern. »Irgendwer muss es tun, oder? Ihr seht aus, als hättet Ihr nicht tagelang, sondern wochenlang nicht geschlafen. Zweifellos habt Ihr auch nicht gefrühstückt, und wenn Ihr nicht ausruht, brecht Ihr auf der Straße zusammen.«
    »Was kümmert es Euch?«
    Er stand auf. »Ich kann gehen.«
    »Nein!«, rief sie kleinlaut. »Nein.«
    Als er sich wieder setzte, griff sie nach dem Becher.
    »Erst essen«, mahnte er.
    Sie brach ein Stück Brot samt Käse und Zwiebeln ab und kaute ewig daran. Ihr Magen rebellierte, doch der Bissen tat ihr gut, und noch besser tat ihr, dass sich jemand um sie sorgte. »Trinkt Ihr nicht?«
    »Ich denke, das lasse ich besser bleiben.«
    »Trinkt!«, befahl sie. »Ich will nicht allein dabei sein.«
    Er sah sie an, furchte die Brauen und zog die Stirn in Falten. Seine skeptische Miene hatte etwas Komisches, das in ihr eine Saite anschlug. Und seine Augen schlugen noch viel lauter an diese Saite. Sie standen schräg, das linke ein wenig schräger als das rechte, und hinter dem Schutz der Wimpern verkroch sich ein Funkeln. Sie goss ihm Wein in den Becher, dann griff sie, ohne nachzudenken, nach seiner Hand und schloss die ihre darum.

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