Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
Ihre Finger, fand sie, wirkten plump gegen seine. Hastig trank sie und wartete, bis er es ihr nachtat.
»Bitte helft mir«, sagte sie.
»Das möchte ich gern. Aber ich kann Euren Bruder nicht zwingen, etwas zu tun, was er gar nicht will.«
»Stellt ihn zur Rede«, beschwor sie ihn. »Sagt ihm, dass er die falsche Wahl trifft, dass das, was er vorhat, ein Verbrechen gegen seine Familie ist.«
»Und wenn ich diese Sicht nicht teile?«
»Beim Herrgott«, fuhr Magda auf, »wie kann denn ein Mann freiwillig seine schönen, gesunden Glieder in eine scheußliche Kutte wickeln und beschließen, fortan hinter eisigen Mauern zu hausen, wenn er draußen ein Leben hat, eine Familie, einen blutwarmen Haufen Menschen, der ihn liebt?«
»Er kann«, erwiderte ihr Gegenüber nur und war nicht dazu zu bewegen, ein weiteres Wort preiszugeben.
»Nun schön.« Magda seufzte. »Dann werde ich es ihm eben sagen, aber dazu muss er erst einmal mit mir sprechen. Macht ihm klar, dass er ein Feigling ist, wenn er mir das verweigert, ein selbstgefälliger Lump ohne Ehre und Pflichtgefühl!«
»Das alles könnte ich ihm an den Kopf werfen«, gestand der Fremde zu. »Aber, um ehrlich zu sein, ich käme mir dabei wie der König der Heuchler vor.«
»Was wollt Ihr damit sagen? Habt Ihr Euch etwa auch geweigert, Eurer eigenen Schwester zumindest eine Erklärung zu geben?«
»Meine Familie steht hier nicht zur Debatte«, wich er aus. »Und Euren Bruder werde ich bitten, Euch das Gespräch, das Ihr Euch wünscht, zu gewähren. Mehr bleibt weder mir noch Euch zu tun. Die Zeit muss entscheiden, ob er auf dem Weg, den er eingeschlagen hat, weitergehen oder zu Euch zurückkehren wird.«
»Aber ich will nicht, dass irgendeine Zeit entscheidet!« Sie ballte von Neuem die Fäuste. »Ich will ihn wiederhaben, ich brauche ihn. Hier und jetzt.«
»Selbst wenn Ihr mir die Zähne ausschlagt«, sagte er, »oder mir sämtliche Finger abbeißt, nichts davon wird Euren Bruder dazu bewegen, etwas zu tun, was er nicht will.«
Getroffen starrte Magda auf ihre Fäuste, die sich nur mühsam öffnen ließen, als hätten sie ein Eigenleben. War das wirklich sie gewesen, die rasende Furie, die sinn- und haltlos auf einen unbeteiligten Mann eingeprügelt, ihn getreten und gebissen hatte wie ein tolles Tier? »Ich wollte Euch keinen Schmerz zufügen«, stammelte sie. »Ich war nicht bei mir.«
Als sie zögernd den Kopf hob, lächelte er. »Ach, doch«, sagte er. »Ich glaube, ich habe selten einen Menschen so sehr bei sich erlebt.«
»Nein, wirklich – ich kann nicht glauben, dass ich das getan habe.«
»Warum denn nicht?« Seine Stimme war warm. Sie besaß die berückende Fähigkeit, sowohl völlig ernst als auch leicht belustigt zugleich zu klingen. »Wenn man uns immer wieder Wände in den Weg stellt und wir uns die Köpfe daran blutig rennen – ist es verwunderlich, dass wir irgendwann wenigstens eine dieser ewigen Wände in Trümmer schlagen wollen?«
»Doch«, sagte Magda, trank Wein und fühlte, obgleich nichts gelöst war, Wellen der Erleichterung durch ihren Körper strömen. »Aber Ihr seid ja aus Fleisch und Blut. Keine Wand, die nichts fühlt.«
»Ich stand im Weg.«
Sie lachten beide. Leise. Mit einem Finger begann Magda, über die Wunde an seiner Hand zu streicheln, wie sie es bei einem ihrer Brüder getan hätte.
»Nicht«, sagte er, ein Beben in der Stimme.
Dich hat seit einer Ewigkeit kein Mensch mehr gestreichelt, stellte sie verwundert fest. Als sie nicht aufhörte, sagte er nichts mehr.
Es tat gut, stillzusitzen und sich auszuruhen. Zu schweigen, ohne allein zu sein. Irgendwann zog er behutsam seine Hand zu sich und sagte: »Danke.«
Die Tür flog auf. Wind trieb Regen herein und verriet, dass es mit dem Gold des Tages schon sein Ende hatte. Inmitten der feuchtkalten Woge stampfte ein beleibter Mann in pelzverbrämter Schecke in die Schänke. In einem Arm hielt er eine Frau wie im Schwitzkasten. Als die Tür ins Schloss fiel, gab er sie frei und wandte sich in herrischem Ton an den freundlichen Wirt. Erst jetzt bemerkte Magda, dass sich auf der anderen Seite des Raumes eine Stiege befand. Die Frau tänzelte bis dorthin vor, dann blieb sie stehen und wartete. Überm Kleid trug sie das gelbe Tuch der Huren, ihr Haar glänzte seidig, und einige der Flechten, in die es gebunden war, hatten sich bereits gelöst. Sie mochte eine Käufliche sein, eine Ehrlose, doch sie war vor allem eine schöne Frau.
Was war das, was unter Magdas Rippen
Weitere Kostenlose Bücher