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Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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den Kopf. »Das ist meine Sache und geht Euch nichts an. Ich könnte auf Knien beteuern, dass ich nicht vorhatte, Euch anzurühren, aber welchen Grund hättet Ihr, mir zu glauben? Also ersparen wir es uns. Einverstanden?«
    Sie sah ihm noch immer unverwandt in die Augen, und ihre Empörung fiel in sich zusammen. Wie eine Schweinsblase, der die Luft entwich. »Ich glaub Euch«, sagte sie. Wie hatte sie sich einbilden können, der schöne Mann, dem die Hure nachschmachtete, wolle sich mit ihr in eine Dachkammer schleichen? »Verzeiht mir die Anmaßung«, erwiderte sie in beißendem Ton. »Was immer Ihr getan habt oder noch tut – nach einer deftig Verwürzten wie mir gelüstet es Euch ganz sicher nicht.«
    »Wie bitte?« Vor Verblüffung schossen seine Brauen in die Höhe.
    »Das hat vorhin ein Händler auf dem Markt zu mir gesagt.« Vor Magdas Augen verschwamm sein schönes Gesicht. »Vielleicht das einzige Kompliment, das ich je bekommen werde. Ich sei zwar nicht hübsch, hat er erklärt, aber ihm schmecke es auch deftig und ein wenig verwürzt.«
    Sprachen die Leute nicht so über sie, seit sie auf der Welt war?
    Auch wenn du keine Schönheit bist, Schwesterchen, du hast das Herz auf dem rechten Fleck.
    Bei dir kauf ich gern, Bernauerin. Viel lieber als bei einer Hübschen.
    Hatte je jemand anders über sie gesprochen? Hatte Endres, ihr Liebster, ihr je gesagt, er finde etwas an ihr schön?
    Du bist Seyfrid Harzers Enkelin, und du bist das pfiffigste und das netteste Mädchen von Bernau.
    Worte wie diese schienen von sämtlichen Seiten auf sie einzustürmen. All die Kränkungen, die sie jahrelang mit einem Lachen weggesteckt hatte, trafen sie jetzt mit grausamer Wucht.
    »Mir nicht«, sagte der Mann.
    »Was soll das heißen, mir nicht?«
    »Mir schmeckt es nicht deftig und verwürzt.«
    »Nein. Euch gewiss nicht. Ihr könnt es Euch leisten, wählerisch zu sein.«
    »Ich bin mehr als wählerisch«, sagte er. »Ich nehme nur das Beste von allem.« Dann beugte er sich geschmeidig zu ihr hinüber, zog sie an sich und küsste sie.

19
    Sie stiegen in keine Dachkammer, sondern liefen aus der Stadt hinaus durch kniehohes, regennasses Gras. Der Wind war stürmisch, trieb ihnen Regen entgegen, doch das erleichterte ihnen ihr Schweigen. In Magdas Brust und Kehle brodelten die Worte wie Biersud in der Würzepfanne, und doch durfte keines von ihnen hinaus. Übergroß war die Furcht vor jeder möglichen Antwort. Was sie mit Worten nicht wagten, übernahmen ihre Hände: Sie hielten einander umklammert, als könnte der wilde Wind sie auseinanderreißen.
    Am Waldrand, im Schutz dicht verflochtener Eichenkronen, setzten sie sich nieder, weil sie noch viel mehr Küsse nötig hatten, noch viel mehr Umarmen, Festhalten, Streicheln, Ertasten, Liebkosen und Verzärteln. Sie waren zwei, die in den Hungerturm gesperrt worden waren und sich befreit hatten, die in Gier und Todesfurcht nicht genug bekamen. Sie waren zwei, die im tiefsten Winter ins Eis eingebrochen und fast erfroren waren, die alle Wärme der Welt brauchten, um ihr Blut zum Kreisen zu bringen und sich wieder zu spüren. Vage erinnerte sich Magda, dass Endres’ Küsse süß geschmeckt hatten. Die ihres fremden Liebsten schmeckten nicht süß, sondern so, wie Wein schmecken musste, wenn man ihm nicht mit zuckriger Zutat die Würde raubte. Sie wollte nicht, dass es ein Ende fand, dass es Grenzen hatte, dass sie vor etwas haltmachen musste.
    Er war es, der ihre Hände aufhielt. »Nicht, Magda«, sagte er, die Stimme rau vor trauriger Zärtlichkeit. »Nicht weiter.«
    Jetzt, wo er sie das erste Mal beim Namen nannte, fiel ihr ein, dass sie seinen Namen auch kannte. Nicht einen künstlichen, lateinischen wie Honorius oder Basilius, sondern den, der auf Erden zu ihm gehörte. »Thomas.« Sie küsste seine Schläfe. Er war kein Fremder mehr.
    Flüchtig schlossen sich seine Lider. Um seinen Mund zuckte ein zögerliches Lächeln und verkroch sich wieder. Dann straffte er sich und zog ihre Hand, die sich sein Bein hinaufstahl, zurück.
    »Sag nicht, das dürfen wir nicht. Ich will das nie wieder hören.«
    »Das dürfen wir nicht.«
    Sie verschloss ihm den Mund, spürte unter ihren Fingern, wie seine Lippen um Freiheit kämpften, und drückte fester zu. Als er zwar unverständlich, doch immer weiter aussprach, was sie nicht hören wollte, zog sie die Hand weg und küsste ihn.
    »Liebes Mädchen«, sagte er, als sie endlich von seinen Lippen abließ, »du liebes, unglaubliches

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