Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
zu wühlen begann, während sie die Gelbgewandte unziemlich anstarrte? Neid? Auf eine Hure? Abrupt wandte sie sich ab und ihrer Mahlzeit zu. Hatte sie überhaupt nicht bemerkt, wie gut es hier schmeckte, wie frisch das Brot war, wie würzig der Käse? Jetzt packte sie das Messer des Fremden, das noch auf dem Tisch lag, und säbelte wütend die ganze Pracht in Stücke.
Ihre Brüder hatten oft über die Gier, mit der sie sich auf ihre Schüssel stürzte, Witze gerissen. »Findet Ihr das nicht zum Lachen?«, fragte sie ihr Gegenüber, als kein Krümel mehr übrig war. »Oder zum Naserümpfen? Ein Mädchen, das ohne Maß und Anstand sein Essen verschlingt?«
»Nein«, erwiderte er. »Ich bin froh, Euch überhaupt einmal essen zu sehen. Habt Ihr noch Hunger? Michel schreibt es aufs Kerbholz.«
»Michel?«
»Der Wirt.«
»Aber wie wollt Ihr es denn begleichen? Ihr dürft doch kein Geld annehmen.«
Beinahe spitzbübisch hob er eine Braue. »Allzu wörtlich muss man nicht einmal eine Klosterordnung nehmen, oder? Und manches, was Michel ins Kerbholz ritzt, streicht er auch wieder aus.«
Magda trank ihren Becher leer und musste lächeln. »Wein hätte ich gern noch. Auch wenn sich’s nicht schickt.«
Er stand auf und ging zum Schanktisch, um zu warten, bis der Wirt den beleibten Mann abgefertigt hatte. Magda sah, wie die schöne Hure auf ihn aufmerksam wurde, wie ihr Blick ihn von Kopf bis Fuß vermaß. Jäh hatte sie das Gefühl, ihn mit den Augen der anderen zu betrachten. Die formlose Kutte ließ das, was sie umhüllte, nur erahnen, doch die Eleganz, mit der er sich bewegte, war schwerlich zu verbergen. Er stützte einen Arm auf den Schanktisch und den Kopf in die Hand, gleichmütig, scheinbar ohne sich seiner selbst bewusst zu sein.
Die Kutte war ihm zu eng, der grobe Stoff spannte über den Muskeln der Schultern. Magdas Blick kroch das Schlüsselbein entlang in seinen Nacken, wo das Haar, das noch immer kurz war, einen Streifen Haut unbedeckt ließ. Jäh wünschte sie sich, dieses schimmernde Haar zu berühren und einen Finger auf die bloße Haut zu legen. Im nächsten Augenblick aber sah sie wieder nach der Hure, deren Blick vom Nacken des Mannes über seinen Rücken in die Tiefe wanderte. Wie gefesselt folgte Magdas Blick dem ihren.
Dort wo der Strick die Kutte raffte, war der breite Rücken auf einmal lächerlich schmal. Fast hätte sie aufgelacht, weil sie nie zuvor bemerkt hatte, dass Männer keine Hüften besaßen. Es hatte etwas regelrecht Dreistes, Aufreizendes, dieses Fehlen jeglicher Rundung, das von den Formen einer Frau so weit entfernt wie nur möglich war. Hatte sie Endres nie so betrachtet, ihren Endres, an dessen Seite sie aufgewachsen war?
Auf einmal glaubte sie, die Stimme des Stadtknechts vom Olden Markt zu vernehmen: Kaum kriegen die Weiber einen Hintern in Kutte zu Gesicht, kennen die kein Halten mehr. Jäh wurde ihr klar, woran ihr Blick festhing, ihr Atem stockte, und erschrocken blickte sie auf. Über das Gesicht der Hure glitt ein Ausdruck von Entzücken, der etwas Schuldloses hatte. Magda hingegen presste die Hände an die Wangen und zuckte vor der Hitze zurück.
Ihr Begleiter nahm dem Wirt den Krug ab und kam zu ihr zurück. Die nicht vorhandenen Hüften wiegten sich im Schritt, und die Hure, die ihm nachsah, schloss halb die Lider und leckte sich die Lippen. Gleich darauf stampfte der Beleibte heran, packte sie brüsk beim Ellbogen und erklomm mit ihr die Stiege.
»Hier sitzt man also nicht nur beim Wein, wenn man nicht gesehen werden will«, sagte Magda.
»Nein.«
»Seid Ihr deshalb mit mir hierhergekommen? Lullt Ihr mich ein und denkt Euch, wenn diese zwei da wieder herunterkommen, steigt Ihr mit mir hinauf?«
Er hatte Wein eingeschenkt und hielt in der Bewegung inne.
Das, was der picklige Mönch gesagt hatte, fiel ihr ein. »Ist das die Geschichte, die man sich über Euch erzählt? Dass Ihr schamlos seid und Mädchen zu Fall bringt?«
»Ja«, sagte er und sah sie an. Utz’ warnende Stimme hallte ihr durch den Schädel: Er hat schwarze Augen wie ein welscher Verführer.
Nur war etwas daran falsch. Seine Augen waren so wenig schwarz wie der schillernde Fluss, der durch die Doppelstadt floss, blau war. Endres’ Augen hatten Magda im Innersten berührt. Die seinen rüttelten daran und wühlten sie auf.
»Gehen wir«, sagte er. »Ich würde Euch gern an einen Ort bringen, an dem Ihr sicher und nicht allein seid.«
»Und ich hätte gern eine Erklärung.«
Er schüttelte
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