Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
Stattdessen traf sie einen Händler, der gestern bei ihr Bier getrunken hatte, und fragte ihn nach der Klosterstraße. »Was will ein so hübsches Ding wie du denn bei den frommen Brüdern?«
»Ich bin kein hübsches Ding, das wisst Ihr so gut wie ich.«
Der Händler lachte. »Da hast du so Unrecht nicht, freche Gosch. Aber ich bin nicht wählerisch, mir schmeckt’s auch deftig und ein bisschen verwürzt. Na komm, mein Pfefferkörnchen. Was würdest du zu einem Paar gesottener Würste sagen?«
»Nichts«, sagte Magda. »Die deftig Verwürzte will nur wissen, wo das Kloster ist.«
Widerstrebend wies er ihr den Weg in Richtung Stadtmauer. Bereits wenige Schritte später tauchte der Turm der Klosterkirche auf, der kurz und kompakt die Dächer überragte. Als Magda in die breite Straße einbog, sah sie neben der Kirche einen weiten, von einer Mauer geschützten Garten, der das imposanteste Gebäude umgab, vor dem sie je gestanden hatte. Das mächtige Eingangsportal, das bunt schillernde Glas der Fenster, die Türme und mit Marmorwerk verzierten Giebel, die Arkaden samt ihrer spitzen Bögen – dieser Prachtbau konnte unmöglich ein Kloster sein! Nicht einmal das überreiche Chorin wagte es, mit so viel Glanz zu protzen. Vor dem steinernen Tor standen zwei geharnischte Wachen mit Lanzen. Wenn ihr Bruder tatsächlich hinter diesem Tor verschwunden war, bestand keine Aussicht, jemals zu ihm vorzudringen.
Magda wandte sich nach der Kirche um und entdeckte in deren Schatten eine Reihe von Gebäuden aus Backstein. Sie atmete auf. Das Kloster lag dort drüben. Zwar besaß das größte der Bauwerke ebenfalls ein ansehnliches, von Schmuckpfeilern getragenes Eingangsportal und hohe Fenster, die die gesamte Front säumten, doch davon abgesehen erschien die Bauweise schlicht. Mehrere Häuser erweckten sogar den Eindruck, noch nicht ganz fertig zu sein.
Erleichtert hastete Magda die Straße hinunter. Vor diesem Portal wartete keine Wache, und die hölzerne Tür ließ sich leicht aufstoßen. »Lentz!«, rief sie atemlos, kaum dass ihr Fuß lautstark auf dem gekachelten Boden auftraf. Der Raum, in den sie gelangt war, schien eine Art Windfang zu sein, von dem mehrere niedrige Türen abgingen. Eine öffnete sich im Handumdrehen, und ein Mönch trat ihr entgegen. Er baute sich vor ihr auf und verschränkte die Arme vor der Brust. »Was immer dir einfällt – hier kannst du nicht hinein.«
»Ich muss! Mein Bruder ist hier …«
»Besuche sind brieflich zu vereinbaren. Und jetzt pack dich. Nimm die Beine in die Hand!«
Der Mönch war noch jung. Genau genommen war er ein hageres Bürschlein mit pickligem Gesicht, das nicht im Mindesten bedrohlich wirkte. »Es ist ein Notfall«, behauptete Magda tapfer.
»Liegt ein Verwandter im Sterben? In dem Fall kann ich wohl eine Nachricht übermitteln.«
Magda biss sich auf die Lippen, kniff die Augen zu und nickte.
»Der Vater?«, fragte der Mönch.
Wieder nickte Magda und hielt die Augen weiter geschlossen, als bliebe die Lüge ungeschehen, wenn sie den anderen nicht dabei ansah. Ihren Vater, der längst in der Ewigkeit ruhte, konnte durch ihren Frevel wenigstens kein Schaden mehr treffen.
»Nun gut denn. Der Bruder, den du suchst, wer ist das?«
»Lentz Harzer. Er muss in der Frühe hier eingetroffen sein.«
»Der Brauerssohn, der heute Einlass ersucht hat? Den kannst du nicht sprechen, Mädchen, der wird ja gerade erst auf seine Eignung geprüft.«
»Er ist nicht geeignet – dazu braucht Ihr Eure Zeit nicht mit Prüfungen zu vergeuden.«
Der Mönch hielt inne. »Dein Vater liegt gar nicht im Sterben, was? Eine von den Durchtriebenen bist du, eine, die lügt, ohne mit der Wimper zu zucken.«
Magda schnappte nach Luft und zugleich nach einer Antwort. In diesem Augenblick öffnete sich die niedrige Tür erneut, und im Spalt erschien ein Mann, der sich unter der Zarge hindurchbücken musste. Während er den Rücken krümmte, fiel Magdas Blick auf sein ungeschorenes Haar. Es war gewachsen. Weich und glatt und tintenschwarz. Sie überlegte keinen Herzschlag lang. »Ihr müsst mir helfen!«, rief sie. »Ich flehe Euch an – um alles in der Welt.« Dann verließen sie die Kräfte, ihr wurde schwarz vor Augen, und sie taumelte gegen die Wand.
»Aber ja doch«, sagte der große Mann und schob den anderen aus dem Weg. »Ich helfe Euch.«
Als seine Arme sich um sie schlossen, ließ sie sich fallen. Sie hatte es schon einmal getan, fiel ihr ein. Jedes Mal, wenn sie sich trafen, schien
Weitere Kostenlose Bücher