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Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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vor der Erniedrigung nicht kennen. Die Angst machte klein und feige, und Petter war alles andere als das. Sogar viel ältere Zunftmitglieder, die in der Rippe zechten , begegneten dem jungen Bäckermeister mit Respekt, wenn ihn sein Freund Alban, der rotgesichtige Kürschner, auch ab und an mahnte: »Geh nur nicht zu weit, Flausenkopf. Ich habe keine Lust, dich als Ketzer brutzeln oder als Landesverräter vom Galgen baumeln zu sehen.«
    »Unsinn, ich kann gar nicht weit genug gehen«, entgegnete Petter. »Irgendwann müssen wir Duckmäuser doch aufhören, vor Angst zu bibbern, und stattdessen klar heraus sagen, was wir fordern: erweiterte Stadtrechte, freier, selbstbestimmter Handel, Vertreter aus dem Handwerk im Rat und vor allem ein Ende der Moralvorschriften durch selbstherrliche Kirchenfürsten! König Ludwig, dieses bayrische Pfundskerlchen, hat es uns doch vorgemacht: Wenn der dem Papst ohne Furcht die Stirn bietet, weshalb sollten wir es in seinem Schatten nicht auch tun?«
    »Aber über König Ludwig ist der Kirchenbann verhängt worden«, gab einer der anderen Zecher unsicher zu bedenken. »Er ist von allen Sakramenten ausgeschlossen, und nach seinem Tode darf kein geweihter Boden seinen Leib entgegennehmen.«
    »Das glaubst du doch wohl selbst nicht«, schoss Petter zurück. »Wo gäbe es denn so was, einen König – oder vielleicht bald Kaiser – des Heiligen Römischen Reiches, der nicht mit kirchlichen Ehren bestattet worden wäre? Der wird dereinst in seinem München, in seiner Frauenkirche begraben liegen, darauf nehme ich Gift, Freunde. Bis dahin aber wird er die alten Knochen dieses Reiches noch ordentlich durcheinanderwirbeln. Der Bann des Papstes kratzt ihn nicht – wenn Ludwigs eigene Geistlichkeit sich weigert, ihn zu vollstrecken, welche Wirkung hat er dann noch?«
    »Das ist schon richtig«, stimmte sein Gegenüber, ein mickriger Schuhmacher namens Jecklin, ihm zu. »Einen Haken aber hat die Sache.«
    »Und der wäre?«
    »Wir sind keine Könige, Petter.«
    »Aber wir sind Berliner!«, hörte Diether sich rufen, und sogleich begann sein Herzschlag zu poltern. Viel zu selten wagte er es, in diesem Kreis von gewitzten, weltgewandten Männern das Wort zu ergreifen, und dabei hegte er keinen größeren Wunsch, als ihnen zu imponieren. »Wenn wir Städter uns wie ein Mann erheben und gemeinsam für unser Recht eintreten, ist der Papst gegen uns so machtlos wie gegen ein gekröntes Haupt. Er kann ja schließlich schlecht eine ganze Stadt mit seinem Kirchenbann belegen!«
    »Und warum soll er das nicht können?«, warf der Schuhmacher ein. »Gibt es in der Vergangenheit etwa keine Beispiele für ganze Städte, die der Bann getroffen hat? Für Handel und Blüte, die über Nacht zum Erliegen kamen, weil kein christlicher Kaufmann die Märkte der Stadt mehr aufsuchte? Für Kinder, die ungetauft gestorben sind, für Alte, denen ohne Trost und Segen vorm Tode bangte, für Töchter und Schwestern, die in Sünde lebten, weil kein Priester sich bereitfand, sie zu trauen? Wollt ihr in Kauf nehmen, dass unsere Töchter und Schwestern solches Leid erfahren müssen, unsere Kinder und Alten, jeder einzelne Mensch in dieser Stadt?«
    Diether wusste nicht, ob früher schon Städte mit dem Kirchenbann belegt worden waren, er hatte sich mit derlei Fragen nie befasst. Aber auf die Rede des kleinen Jecklin lauschte sowieso niemand, denn der große Petter spendete ihm, Diether Harzer, Beifall: »So ist es recht, mein Kumpan aus Bernau, hier ist ein Mann nach meinem Herzen. Dieser ewige Kirchenbann ist auch nicht mehr als ein Stöckchen, mit dem der gestrenge Herr Vater uns einschüchtern will. Aber die Drohung zieht nicht mehr, die hat sich abgenutzt wie Sattelleder. Wird der Prügel allzu oft geschwungen, wächst dem Hintern Hornhaut, oder etwa nicht?«
    In das dröhnende Gelächter stimmten selbst die Schankmädchen ein, die mit frisch gefüllten Krügen an den Tisch eilten. Dass die Worte ketzerischer kaum möglich waren, tat ihrem Erfolg keinen Abbruch. Den Leuten gefiel das, sie waren reif dafür! Was für eine Zeit, um auf dem Gipfel des Lebens zu stehen, dachte Diether. Was für eine Zeit, um nirgendwo als in Berlin zu sein!
    Sosehr Diether es liebte, mit Petter und seinen Gefährten zusammenzusitzen oder mit Hans um die Häuser zu ziehen, einen Menschen gab es, dessen Gesellschaft er noch weit mehr genoss: Gretlin.
    Für die anderen mochte das blonde Flüchtlingsmädchen stumm sein, doch für Diether war

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