Das Mädchen aus dem All
Lebens, die die finstere Gleichgültigkeit der sich bewegenden Materie mit Wärme erfüllten. Die dunkle Straße wurde zum Fluß, zum gigantischen Strom einer blauen Flamme, zu einem verworrenen Ornament, in dem der Widerschein bunter Lichter funkelte.
Ungestüm wuchs die klangvolle Melodie an und entfaltete sich im rhythmischen Tempo des tiefen Grollens der Zeiten. Dar Weter schwirrte der Kopf, er war nicht mehr in der Lage, allen Nuancen der Musik und des Lichts zu folgen, und nahm nur die allgemeinen Umrisse dieser gigantischen Komposition auf. Der Ozean hoher kristallreiner Töne rauschte in einer strahlenden, ungewöhnlich kräftigen leuchtend blauen Farbe. Der Ton wurde immer höher, und die Melodie selbst wurde zu einer ungestüm wirbelnden Spirale, bis sie plötzlich in einem blendendhellen Auflodern des Lichts abbrach.
Die Sinfonie war zu Ende, und Dar Weter begriff, was ihm all die Monate gefehlt hatte. Er sehnte sich nach einer Arbeit, die mit dem Kosmos verbunden war, mit der sich unaufhörlich entfaltenden Spirale des menschlichen Strebens in die Zukunft. Direkt vom Musiksaal aus begab er sich in das Fernsprechzimmer und rief die Zentralstation für Arbeitsverteilung in der nördlichen Wohnzone an. Der junge Informator, der Dar Weter die Arbeit in der Grube vermittelt hatte, erkannte ihn und sagte erfreut: »Heute morgen hat man Sie vom Rat für Astronautik angerufen, ich konnte aber keinen Anschluß bekommen. Ich werde sofort die Verbindung herstellen.«
Der Bildschirm wurde dunkel und leuchtete kurz danach wieder auf; jetzt sah man das Gesicht Mir Oms, des ersten der vier Sekretäre des Rates.
»Ein großes Unglück hat sich ereignet! Der Satellit 57 ist untergegangen. Der Rat beruft Sie zur Übernahme einer sehr schwierigen Arbeit. Ich schicke Ihnen ein Planetenschiff. Halten Sie sich bereit!«
Dar Weter blieb noch lange voller Bestürzung vor dem erloschenen Bildschirm sitzen.
Die roten Wellen
Über den breiten Balkon des Observatoriums wehte der Wind. Er trug den Duft blühender Pflanzen herauf, der dunkle, beunruhigende Wünsche weckte. Mwen Mass konnte sich nicht in den Zustand klaren, sicheren Überlegens versetzen, wie es vor einem gefährlichen und verantwortungsvollen Experiment notwendig war. Ren Boos hatte aus Tibet mitgeteilt, daß die Kor-Yull-Anlage umgebaut worden sei und für den neuen Zweck verwendet werden könne. Die vier Beobachter des Satelliten 57 hatten sich sofort bereit erklärt, ihr Leben zu wagen, nur um bei dem Experiment zu helfen. Etwas Derartiges war schon seit langem nicht mehr durchgeführt worden.
Doch das Experiment sollte ohne Wissen des Rates und ohne vorhergehende gründliche Erörterung aller Möglichkeiten begonnen werden, und das gab dem Ganzen einen Beigeschmack feiger Geheimhaltung, die für die modernen Menschen so gar nicht charakteristisch war.
Das große Ziel schien zwar alle diese Maßnahmen zu rechtfertigen, doch . . . Es entstand der uralte menschliche Konflikt zwischen dem Ziel und den Mitteln. Die Erfahrungen Tausender von Generationen lehrten, daß man den kritischen Punkt — die Grenze des Übergangszustandes — genau bestimmen mußte, wie man es mit Hilfe der Repagularrechnung bei den abstrakten Problemen der Mathematik tat. Doch wie konnte man solche Berechnungen anstellen, wenn es sich um Moral und Intuition handelte?
Mwen Mass kam immer wieder das Schicksal Bet Lons, eines berühmten Mathematikers, in den Sinn. Jener hatte vorzweiunddreißig Jahren die These aufgestellt, verschiedene Anzeichen einer Verschiebung in der Wechselwirkung starker Kraftfelder ließen sich durch das Vorhandensein parallellaufender Dimensionen erklären. Er führte interessante Versuche durch, bei denen Gegenstände einfach verschwanden. Die »Akademie der Grenzen des Wissens« entdeckte den Fehler in seinen Theorien und gab eine völlig andere Erklärung für die beobachteten Erscheinungen. Bet Lon war äußerst intelligent, dafür aber hatte er wenig moralischen Halt und war nicht Herr seiner selbst. Eigenwillig und egoistisch, wie er war, beschloß er, die Versuche unverändert fortzusetzen. Um wirksame Beweise zu erhalten, warb er mutige junge Freiwillige, die im Dienste der Wissenschaft zu allem entschlossen waren. Doch sie verschwanden ebenso spurlos wie die Gegenstände. Keiner von ihnen gab je Nachricht von »der anderen Seite«, der anderen Dimension, wie der hartnäckige Mathematiker erwartet hatte. Nachdem Bet Lon die zwölf Freiwilligen ins
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