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Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Hohlbein
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geht.«
    »Dann gibt es keine Götterblasen«, schlussfolgerte Froh. »Dann war es auch vollkommen dämlich von mir, unsere letzten Fische ins Meer zu kippen. Dann ist es unmöglich, über das Ende der Welt hinauszurudern, und die Sonne versinkt auch niemals im Meer.«
    »Stimmt«, bestätigte Chita.
    »Dann gibt es Ivi und all die anderen Götter nicht, die über uns wachen. Und somit existieren auch weder Vulka und seine Höhle, noch die Welt über den Wolken«, zählte Froh weiter auf, während er spürte, wie seine Füße und Fingerspitzen zu kribbeln begannen. Schwarze Wolken zogen am nunmehr fast dunklen Himmel auf und drehten sich langsam im Kreis, als wollten sie einen finsteren Strudel bilden, der einen Sog schaffte, in dem er gleich samt und sonders verschwinden würde. Wie durch ein Leck in einem Boot sickerte die Kraft aus seinem ausgelaugten, verbrannten Leib.
    »Es gibt nur euch und uns«, sagte er. »Es gibt dich und dein Volk, und es gibt Primitive wie mich. Und vor allem gibt es … gibt es …« Der Gedanke war so grausam, dass er ihn kaum auszusprechen wagte.
    »Ja?«, drängte Chita halbherzig.
    Froh sah sie an.
    »Es gibt die Welle«, flüsterte er mit trockenem Mund. Ein Blitz zuckte über den Himmel und tauchte die wässernde Haut ihres weißen Gesichts in dämonisches Licht. Ein tiefes, dunkles Donnergrollen schob die Nacht ein Stück weiter zu ihnen hin.
    »Es gab die Welle«, verbesserte Chita ihn. »Nun gibt es nur noch Wasser. Zumindest hier.«
    »Dann hat die Welle auch meine Welt zerstört«, flüsterte Froh. Seine Augen füllten sich mit Tränen, was die Angst, die ihn plötzlich erfüllte, zusätzlich schürte, denn er hatte nicht mehr geweint, seit ihm bei seiner Initiation zum Mann vor mehreren Jahren ein Gemeiner Fischdieb auf den Kopf gemacht hatte. »Dann hat die Welle auch meine Eltern und Geschwister und Neffen und Nichten und Freunde überrollt. Dann hat sie ihre Häuser zerstört und ihre Boote an den Klippen zerschlagen. Dann hat sie … Dann hat sie …«
    Schwindel übermannte ihn und drückte seinen Kopf schwer auf seine Knie, die er dicht an den Körper gezogen hatte. Er nahm wahr, wie der Stotterer ihm in den Nacken biss, doch der Schmerz ertrank im Leid seiner Seele.
    »Niedlich …«, schluchzte er leise, und Chita legte zögerlich einen Arm um seine Schultern. »Dann hat sie auch Niedlich geholt. Und es gibt keine Götter, die ihrer Seele den Weg in die Welt über den Wolken weisen … Es … gibt … nichts …«
    »Alles wird gut«, hörte er Chita wie durch einen Sack voller Wolle zu sich sprechen, aber es waren nur Silben ohne Sinn. »Du bist so stark, Froh. Du hast uns beide gerettet. Und bald wird man uns beide finden. Deine Welt fällt so steil ab. Ihr habt Berge, Froh. Höhen, in die deine Familie geflüchtet sein wird. Bei uns gab es nur ein paar erbärmliche Hügel …«
    »Nichts«, wiederholte Froh tonlos. Und dann trat Zormak, der Donnergott, den es nicht gab, noch einmal nach den Wolken, und der Donner betäubte seine Ohren und seinen Verstand.
    Obwohl er die tränenden Augen mit aller noch verbliebenen Kraft zusammenkniff, war ihm, als ob sich die ganze Welt um ihn drehte, und er spürte Übelkeit in sich aufsteigen und versuchte nach irgendetwas zu greifen, an dem er sich festhalten konnte.
    Aber da war nichts mehr. Nur noch die Dunkelheit und er.
    Froh verlor das Bewusstsein.

26
    D as Donnergrollen begleitete Froh in den Tod, und als er sein neues Leben in einem neuen Körper begann, begleitete es ihn auch in diese neue Zeit. Aber es beängstigte ihn nicht mehr. Er hatte den Glauben an die Götter gegen das Bewusstsein um die Welle eingetauscht, seine letzten Energien an den übermächtigen Zweifel verloren, und trotzdem wurde nun wirklich alles gut, denn seine Seele lebte weiter.
    Wenigstens in einem Punkt hatten die Alten recht behalten: Die unendliche Tiefe, die man ausschließlich in den Augen Neugeborener fand, so sagten sie nämlich, diese stumme Weisheit, mit der sie ihre neue Umgebung einen Moment in sich aufnahmen, war nichts anderes als das Wissen um ihr vergangenes Leben und ihre neue Aufgabe. Es war eine Erinnerung, die sich mit dem ersten Schrei ins Vergessen flüchtete. Und nun war Froh ein solches Kind, ein neues, reines Leben noch vor dem ersten Schritt in ein neues Bewusstsein, und er lauschte dem Donner, der seine Wiedergeburt begleitete, und dachte noch ein letztes Mal an Niedlich und seine Familie, an sein Dorf und die Welle, die

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