Das Mädchen aus dem Meer: Roman
ist falsch , schluchzte ich irgendwann, als der erste Tränenstrom zu versiegen begann. Was ich tue, ist falsch, was ich sage, ist falsch, was ich denke, ist falsch, und sogar, was ich empfinde, ist falsch. Richtig ist immer nur der Moment, in dem du mich in den Armen hältst. Vorher und nachher, gestern und morgen und sogar gerade eben können mich mal. Denn Gestern ist doch nur eine Erinnerung und Morgen nur eine Idee. Beides existiert sowieso nur in meinem Kopf. Ich kann dir nicht einmal sagen, was ich über dich denke, ob mir dein Gesicht gefällt oder ob mich dein Charakter beeindruckt. Sicher ist nur, dass ich dich liebe, Cocha. Ganz ohne jede Bedingung. «
Sie setzte sich wieder gerade auf und suchte seinen Blick; forschend, als ob sie irgendetwas von ihm erwartete. Aber was? Bestätigung für das, was sie gesagt hatte, oder nur Anerkennung für ihre geradezu epische Wortwahl?
»Schöne Worte«, sagte Froh.
Chita nickte. »Zugegeben: Ich war ein bisschen stolz auf mich. Ich hatte mit wenigen Sätzen alles gesagt, was es zu sagen gab. Und Cocha sah mir wieder in die Augen. Und ich stürzte kopfüber in seinen Blick und versank darin. Und ich bekam gar nicht mit, wie er das Tuch am Eingang herunterließ, und nicht einmal, wie es passierte, dass wir auf einmal halb nackt nebeneinanderlagen. Ich verlor mich völlig in seinem Duft und seiner Wärme. Ich lauschte seinem Pulsschlag, und mein Herz lauschte mit und glich sich dem Tempo seines Herzens an. Ebenso mein Atem. Und ich fühlte seine samtweichen Lippen auf meinen, und das war, als entfachte jemand ein Feuer darauf. Aber diese Flammen schmerzten nicht. Diese Flammen vertrieben bloß die herbstliche Kälte aus dem Zelt, und als mein Kleid auf einmal verschwunden war – ich hatte gar nicht gemerkt, wie er es mir abgenommen hatte –, fror ich kein bisschen. Cocha liebkoste meinen Hals, mein Dekolleté und meine Schultern, und seine Hände, so unendlich langsam und einfühlsam seine Gesten auch waren, schienen überall gleichzeitig zu sein und immer neue Feuer zu entfachen, überall auf meinem Körper. Und vor allem darin . Besonders hier und hier …« Sie deutete nacheinander auf ihren Brustkorb und ihren Bauch. »Und wir küssten uns. Stundenlang, wie ich glaube. Unsere Zungen spielten mit den Lippen und Zungen und Zähnen des anderen, und wir atmeten so vollkommen synchron, als wären unsere Lungen miteinander verwachsen und als versorgten sie nicht mehr zwei Körper, sondern einen einzigen mit herrlich warmer Luft. Und unser Atem und unser Herzschlag wurden immer schneller und schneller. Mir war, als explodierte ich innerlich, und meine Lippen huschten über seinen Körper, und meine Zungenspitze tastete nach dem süßen Schweiß auf seiner Haut. Nie zuvor hatte ich etwas so Wunderbares geschmeckt, nie hatte ich etwas so Großes gefühlt! Wir waren so endlos frei und unbefangen, und ich wusste, dass meine Eltern und Moijo gelogen hatten, weil Freiheit nichts Verwerfliches war, sondern das größte Glück, das einem Menschen überhaupt widerfahren kann. Und alles, was wir taten, war richtig. Nichts, was sich so unendlich gut anfühlte, hätte falsch sein können. Und wenn die ganze Welt in Trümmern gelegen hätte: In diesem Moment hätte ich nicht den Hauch eines Gedankens darauf verschwendet. Wir waren eine Einheit, und ich konnte nichts anderes denken, als dass es richtig war und dass es niemals vorbeigehen durfte, konnte, sollte, würde.
Als Cocha irgendwann auf mir lag, war es nicht, als ob ein Gewicht auf mir lastete, obwohl er viel schwerer ist als ich. Ich weiß, es hört sich komisch an, aber es war nur, als wäre ich gewachsen, und ich wusste, wenn er jetzt auch nur eine Handbreit von mir wiche, dann wäre das, als amputierte jemand einen wichtigen Teil meines eigenen Körpers. Darum schloss ich meine Schenkel fest um seine Hüften und …«
»Apropos«, fiel Froh ihr verlegen ins Wort. »Könnte ich kurz mein Ei zwischen deine Schenkel klemmen? Es wird gleich dunkel, und ich möchte nach weiteren Maulbeeren tauchen.«
»Und ich spürte, wie er in mir wuchs«, hörte er Chita weiter berichten, während er sich mit raschen Schritten von ihr entfernte.
Vielleicht war ihre Geschichte wichtig für ihn. Aber alles, dachte Froh, musste er so genau sicher auch nicht wissen. Überhaupt hatte er nicht selten das Gefühl, dass sie nicht mit ihm sprach, sondern mit sich selbst, und dass sie zwischenzeitlich verdrängte, dass er in ihrer Nähe
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