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Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Hohlbein
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ihm als wohl einzigem Menschen auf der ganzen Welt bloß als raue See erschienen war, an Chita und ihre Geschichte, an den Stotterer, der ihm die Augen geöffnet hatte, und wieder an Niedlich. Und dann, noch ehe er die Lider im warmen weichen Schoß seiner neuen Mutter zum ersten Mal hob, schrie er aus Leibeskräften, brüllte, was seine Lungen hergaben, und strampelte mit den Füßen und schlug um sich wie besessen, um die schmerzhaften Erinnerungen zu vertreiben.
    Aber es nutzte nichts.
    Der Schmerz klammerte sich mit aller Gewalt an seinen Verstand, und seine Stimme klang auch nicht eben kraftvoll und unverbraucht, sondern ganz im Gegenteil brüchig und rau. Schließlich versiegte sein Schrei gänzlich in einem schlappen Winseln, das vom anhaltenden Donner und dem Stottern der Kr eatur aus seiner Erinnerung begleitet wurde, und Froh schl ug verwirrt die Augen auf.
    »Dein blöder Vogel hat die ganze Zeit Hunger«, hörte er Chita irgendwo ganz in der Nähe sagen, während er mühsam in den Himmel hinaufblinzelte, der verschwunden war. Wo er grelle Blitze und dunkle Regenwolken in finsterer Nacht erwartet hatte, erblickte er nur weiß bemalte Planken, als hätte man einen Steg über seinem Kopf errichtet, während er schlief. Und er hatte nur geschlafen und war nicht etwa neugeboren worden, wie ihm schmerzlich bewusst wurde, als er träge die Hände vor sein Gesicht hob und keine zarten, weichen Fingerchen, sondern nur seine vertraute Hornhaut erblickte.
    Aber auch der Schiefer, auf dem er in sich zusammengesunken war, war nicht mehr da. Er lag auf etwas, das sich weich anfühlte, wie ein Berg aus Fellen, aber ungemein eben war. Hätte er das Meer nicht gerochen und das stetige Auf und Ab der Wellen nicht unter sich gespürt, hätte er glauben können, er befände sich in einer sehr großen, dekadent ausgestatteten Hütte auf dem Festland. Aber das konnte auch nicht sein, denn er konnte den Donner noch immer – und jetzt umso lauter – hören. Aber das Erstaunlichste war, dass der Donner von irgendwo unter ihm erklang …
    Frohs Herz begann zu rasen. Er hatte Angst.
    Chita hingegen klang leicht überheblich, wie meistens, als sie hinzufügte: »Schön, dass du endlich wach bist. Dann kannst du dich ja jetzt wieder selbst um dieses blöde Vieh kümmern. Ich wollte es nicht ausbrüten.«
    Froh drehte mühsam den Kopf und sah sie neben sich auf etwas sitzen, das wie eine Baumscheibe mit Beinen aussah. Der Stotterer wand sich um ihren linken Arm und schnappte nach einem pampigen, schlecht riechenden Knödel, den sie zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand hielt.
    »Du siehst beschissen aus«, stellte sie lächelnd fest, erhob sich und ließ sich neben ihm auf dem weichen Brett nieder. »Vermutlich fragst du dich, wo du bist. Du hast ja auch das Beste verschlafen. Ich will es dir verraten«, verkündete sie in feierlichem Tonfall. »Wir sind auf einem Mani. Auf einem Schiff ohne Ruder. Das Geräusch, das du die ganze Zeit hörst, kommt von den Maschinen auf dem untersten Deck.«
    Froh runzelte die Stirn und schwieg. Selbst wenn er gewusst hätte, was er hätte sagen oder fragen sollen, hätte er es nicht gekonnt. Alle Kraft, die im Schlaf in seinen Leib zurückgekehrt war, hatte er auf diesen einen, sinnlosen Schrei vergeudet. Nichts war gut. Alles war, wie es immer gewesen war. Alles war falsch.
    »Ich sagte doch, dass sie uns finden und retten«, triumphierte Chita. »Ich sah das Licht am Horizont, kaum dass du zusammengebrochen warst. Und dann habe ich mir die Seele aus dem Leib gebrüllt und bin wie wild herumgehüpft, wie ein Beutelboxer auf heißen Kohlen. Und dann haben sie angelegt und ein Beiboot gewassert, das uns beide vom Atoll geholt und zum Mani gebracht hat. Es hat drei Männer gebraucht, dich über die Reling und unter Deck zu verfrachten. Ganz schön schwere Knochen, alter Falter! Einer der Männer wollte schon aufgeben und dich einfach ins Meer schmeißen, weil du ja nur ein Primitiver bist, aber da habe ich ihm ganz schön meine Meinung gesagt, das kannst du mir glauben. Und der Kapitän hat auch ganz schön getobt; von wegen, wir leben ja nicht mehr im Gestern und ab jetzt gelten neue Gesetze und so …« Lachend schüttelte sie den Kopf. »Danach ist er in der Navigationskajüte verschwunden, um das Schiff wieder auf den richtigen Kurs zu bringen. Aber er hat versprochen, zu uns zu kommen, sobald er kurz entbehrlich ist. Einfach nur geradeaus fahren kann jeder Navigationsnovize schon nach

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