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Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Hohlbein
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war.
    »Er füllte mich vollkommen aus – es war, als hätte er schon immer genau dorthin gehört, und als begriffe ich erst jetzt, da er ganz tief in mir war, dass mir etwas gefehlt hatte. Etwas, ohne das ich nie wieder würde leben können. Und ich fühlte unseren Puls hier … Ganz genau hier. Und überall sonst auch, aber hier am meisten«, vernahm er ihre leiser werdende Stimme, was ihn in seiner Annahme bestätigte. Als er im Baumboot eingeschlafen war, hatte sie ihm gezürnt, weil er ihr nicht mehr zugehört hatte. Aber dieses Mal wäre es ihr später sicher sehr unangenehm, wenn sie realisierte, dass sie nicht bloß zu sich selbst gesprochen hatte. »Und die Flammen schossen rhythmisch durch meinen Bauch. Als wäre ich die See und er der Fischer, der das Knallpulver warf. Nur dass es kein Leben auslöschte, sondern ganz im Gegenteil in mir entstehen ließ – vielleicht nicht nur im übertragenen Sinne. Und das Meer, das mein Leib war, begann zu zittern und zu beben und …«
    Ungeachtet der Tatsache, dass er dem scharfkantigen Schiefer unnötig viel Angriffsfläche bot, tauchte Froh ab und legte ein gutes Stück unter der Wasseroberfläche zurück, obwohl er durchaus aufrecht hätte gehen können. Aber er spürte die neuen Kratzer kaum.
    Alles ist falsch, hallten Chitas Worte in seinem Kopf nach, während er sich durch das dichte, glitschige Laub des Maulbeerbaums kämpfte und im trüben Wasser nach weiteren, fast verdorbenen Früchten suchte. Richtig ist immer nur der Moment, in dem du mich in den Armen hältst …
    Ja. Er verstand, wie sie gefühlt hatte. Und ein kleiner, egoistischer Teil seiner selbst wünschte, er hätte sein eigenes großes Glück ebenso am Schopf packen und mit Niedlich über Vulkas Kranken Berg verschwinden können, weit weg von seiner Familie und dem Medizinmann und den Regeln, die bestimmten, welche Liebe erlaubt war und welche verboten. Aber letztlich liehen der Medizinmann und die Alten den Göttern doch nur ihre Stimmen, und vor den Göttern konnte man sich nirgends verstecken.
    Zugegeben: Manchmal war er sich nicht ganz sicher gewesen, ob nicht der eine oder andere schlicht einem Interpretationsfehler erlegen war, denn die Zeichen der Götter erschienen ihm nicht immer ganz eindeutig – zum Beispiel, wenn es darum ging, eine positive oder negative Antwort aus der Position zu lesen, in der eine Nuss liegen blieb, wenn man sie unter reichlich Bohai in den Sand fallen ließ. Für Froh sahen die meisten Nüsse von den meisten Seiten ziemlich gleich aus. Oder vielleicht, so hatte er ab und an heimlich spekuliert, hatte sich der Medizinmann im stummen Zwiegespräch mit Ivi, Kropokam, Hattagibba und all den anderen Gottheiten schlicht verhört, weil seine Ohren ja nicht mehr unbedingt die besten waren. Aber Froh wusste, dass er viel zu jung und unerfahren war, um aus sich selbst heraus zu spüren, was gut oder schlecht für ihn war, und er bereute zutiefst, jemals daran gezweifelt und dadurch ein solches Unglück über seine Familie gebracht zu haben.
    Trotzdem: Er beneidete Chita. Dann schämte er sich dafür, dass er sie um ihre Unwissenheit beneidete, dann beneidete er sie dafür, dass sie sich für ihre Unwissenheit nicht einmal schämte, und dann bekam er einfach keine Luft mehr und tauchte wieder auf. Er brachte seine Beute auf das kahle Felsgrüppchen und konzentrierte sich ausschließlich auf den Maulbeerbaum und die wenigen Früchte, die noch erhalten geblieben waren, während er drei, vier weitere Tauchgänge absolvierte.
    Als er schließlich auf den Felsen zurückkletterte, klaubte er zusammen, was er an aufgequollenem Obst tragen konnte, brachte es der Fremden und wollte gerade noch einmal zu dem Baum zurückkehren, um zu versuchen, eine Angel aus einem Ast und dünnen Zweigen zu fertigen, als ihr Bericht über ihre Nacht mit ihrem Geliebten jäh endete und sie mit einem erschrockenen Quietschen aufsprang. Alarmiert verharrte Froh mitten in der Bewegung und blickte zu ihr zurück.
    »Was ist passiert? Was hast du?«, erkundigte er sich besorgt.
    Chita starrte auf den felsigen Grund zu ihren Füßen hinab. Das Ei, das er ihr zwischen die Oberschenkel geklemmt hatte, war aus ihrem klammen Rock gekullert und hatte sich vor ihren Zehenspitzen im rissigen Schiefer verkantet.
    »Dein Ei hat mich gebissen!«, antwortete sie, ohne den Blick davon zu lösen.
    »Mein … Oh!«
    Froh ließ sich in die Hocke sinken und berührte vorsichtig die nunmehr rissige Schale des Eis, das da

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