Das Mädchen aus dem Meer: Roman
vielleicht ein Grund dafür ist, dass diese Welt überwiegend von Idioten beherrscht wird«, gähnte Mikkoka und wandte sich an Tronto. »Wo ist der Rest?«
»Zum Markt, um ein paar nützliche Dinge zu stehlen«, antwortete unser Baummann. »Vorwiegend vermutlich solche, an denen man sich schneiden oder sonstwie verletzen kann. Wenn alles gutgeht, werden wir den Hafen heute erreichen.«
Tronto dachte sich nichts Böses dabei, aber dass sie beide mich nun übergingen und daherredeten, als sei nichts gewesen oder ich gar nicht mehr da, war zusätzlicher Zunder im Feuer meiner Wut.
»Mikkoka! Ich rede mit dir!«, fuhr ich sie an und setzte ihr nach. Dieses Mal griff Tronto nicht ein, sondern seufzte nur resignierend, und Mikkoka bedachte mich mit einem Schulterblick und hob müde eine Braue.
»Ach was«, gähnte sie desinteressiert und reckte ausgiebig die Glieder.
Oh, wie ich sie hasste! Dass sie mich in Silberfels aus dem Schutt gebuddelt hatte, hatte ich zu dieser Zeit längst verdrängt. Ehrlich gesagt ist es mir erst wieder bewusst geworden, als ich es Froh der Vollständigkeit halber erzählt habe.
»Es ist wegen Cocha, stimmt’s?«, riet ich mühsam beherrscht. »Du bist spitz auf ihn und neidisch, weil er sich für mich entschieden hat. Weil er mich liebt.«
Mikkoka lachte gehässig, ließ sich jetzt aber immerhin dazu herab, sich mir ganz zuzuwenden. »Neidisch wegen Cocha? Weiter reicht dein begrenzter Horizont nicht, was?«, spottete sie. »Im Übrigen vögelt er dir bloß das Hirn aus dem Schädel, damit du tust, was mein Bruder ihm flüstert. Cocha ist eine Hure. Du willst es nur nicht wahrhaben.«
Ich schnappte empört nach Luft und bereute es in der gleichen Sekunde wieder, weil letztere wie mit eisigen Krallen an meinen Lungenflügeln schabte. Es war so kalt, dass weiße Dunstwolken vor unseren Gesichtern waberten. Mikkoka hatte so etwas schon einmal angedeutet, und damals wie in diesem Moment war ich sicher, dass dieser Vorwurf bloß ihrer gehässigen Fantasie entsprang. Aber ihre Wortwahl schlug mich trotzdem auf die Schwelle zur Fassungslosigkeit. So spricht man einfach nicht, und schon gar nicht mit mir!
Aber Mikkoka hob in einer unerwartet besänftigenden Geste die Hände und beehrte mich mit einem fast mitleidigen Blick. »Schon gut, Prinzessin«, winkte sie ab. »Eigentlich will ich dich weder beleidigen noch verletzen. Aber du reagierst ja auf nichts anderes als auf Schläge. Und wenn es um Cocha geht, dann nicht einmal mehr darauf. Du bist blind vor Liebe, und Cocha nutzt das aus. Würdest du mir nicht irgendwo leidtun, hätte ich nicht versucht, mit meinem Bruder zu reden, damit er dich fortschickt oder umbringt. Ich bin für klare Worte. Was Cocha und Kratt tun, ist würdelos. Und nicht zuletzt gefährlich, denn irgendwann wachst selbst du noch auf, und dann verrätst du uns möglicherweise alle, wenn dich nicht auf dem Weg zurück in dein Schlösschen einer von uns abfängt und irgendwo im Wald verscharrt. Aber ich habe leider nichts zu bestimmen.«
»Du spinnst«, erwiderte ich steif.
»Sicher«, lachte Mikkoka und wandte sich wieder an Tronto. »Sag was dazu«, forderte sie ihn auf. »Hol sie aus ihrem kranken Wachtraum. Sei fair, Tronto!«
Doch Tronto schüttelte den Kopf und wich einen Schritt vor uns zurück. »Ich bin nur eine knorrige Wurzel«, wand er sich diplomatisch aus dem Disput. »Ich kann weder hören noch sehen oder sprechen.«
Mikkoka rollte die Augen. »Besten Dank«, stöhnte sie. »Aber das macht nichts. Anna, sag ihr, was du mit Cocha getrieben hast, ehe sie nach Silberfels kam. Du musst dich für nichts schämen, denn danach rennt sie ohnehin mit offenen Augen in den Tod. Weil sie nämlich keine von uns ist und auch niemals zu uns gehören wird. So was können wir nicht gebrauchen.«
Ich sah zu Anna hin, die, wohl vom Streit geweckt, gerade aus dem Stall schlüpfte. Sie kratzte sich eher verschlafen als wirklich verlegen am Hinterkopf, aber ehe sie irgendetwas zur Sache beitragen konnte, vernahm ich Kratts Stimme gleich hinter mir. Frag mich bloß nicht, wo er in diesem Moment so plötzlich herkam. Aber das frag dich am besten ohnehin einfach nie.
»Können wir nicht?«, wandte er sich kopfschüttelnd an seine Schwester, die ihm trotzig entgegenblickte. »Weil du nämlich uns allen heute Abend Zutritt zu einem Mani meiner Wahl verschaffst? Und das ganz ohne Blutvergießen? Kannst du das, Schwesterchen? Dann brauchen wir sie tatsächlich nicht. Brich ihr
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