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Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Hohlbein
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einfach das Genick. Ich kann sie auch nicht leiden.«
    Mein Blick heftete sich an Anna, doch die schlurfte einfach an mir vorbei, klopfte Tronto auf den Rücken und nahm ihn bei der Hand, um ihn mit sich ins steif gefrorene Dickicht des angrenzenden Waldes zu ziehen. Mein Beutelwolf tappte aus dem Stall und schloss sich den beiden an, was mir wie Hochverrat vorkam.
    »Als käme es auf ein paar stinkende Wasserratten an – als ob wir nicht ohne sie zurechtkämen!«, fluchte Mikkoka und deutete dabei anklagend auf mich, wobei sie eine Miene schnitt, als zeigte sie auf einen Hundehaufen im Kaminzimmer. »Sie wird uns verraten, und zwar im denkbar ungünstigsten Moment. Sie ist dumm wie Stroh und verknallt bis über beide Ohren. Aber du müsstest ihr das Hirn schon komplett amputieren, damit sie dich nicht irgendwann trotzdem selbst durchschaut. Und dann …« Sie machte eine ausholende Geste, ließ den Rest ihres Vorwurfs aber in der Luft stehen.
    »Und dann?«, hakte Kratt gelassen nach und wandte sich mir seufzend zu. »Dann kann ich sie immer noch töten, und das weiß sie auch«, fuhr er fort.
    Ich wich instinktiv zurück. Wenn Kratt dich direkt ansieht, dann ist es, als ob dich ein Krokodil beäugt. Er ist ganz ruhig, fast regungslos, aber du weißt, dass er binnen eines Lidschlags auf dich zuschnellen und dir den Kopf abbeißen kann. Plötzlich fror ich überhaupt nicht mehr. Mein Blick suchte den frühmorgendlichen, schattigen Wald nach den anderen Männern ab – insbesondere natürlich nach Cocha. Ich konnte das Trampeln des Esels zwar schwach hören, aber noch niemanden sehen.
    »Dein Spielgefährte kommt gleich«, lachte Kratt, der meinen Blick richtig gedeutet hatte. »Aber du hast nichts zu befürchten. Wenn ich meiner Schwester in allen Punkten recht gäbe, wärst du längst tot, obwohl ich den unblutigen Weg vorziehe. Wäre es anders, wäre ich am Hof deines Vaters geblieben und würde mir nach wie vor eine goldene Nase damit verdienen, still und leise aus dem Weg zu räumen, was auch immer ihn stört. Aber das meiste von dem, was sie sagt, ist ohnehin Unsinn oder nur die halbe Wahrheit. Ich brauche dich nämlich doch, und zwar nicht nur, damit wir möglichst gewaltfrei nach Montania übersetzen können. Das ist nur ein Bonus, den ich gern mitnehmen möchte.«
    Kratt hatte meinem Vater gedient? Ich hatte ihn nie auf unserem Anwesen gesehen. Wie alt war er eigentlich? Er brauchte mich? Und: Wie sollte ich denn bitte sehr an ein Schiff gelangen? Zumindest offiziell war ich doch längst tot! Und wie viel von alledem hatte Cocha mir verschwiegen? Was sollte ich zuerst fragen? Sollte ich überhaupt etwas sagen? Konnte ich das? Meine Kehle war wie zugeschnürt vor Angst.
    »Ich kenne keine Seeleute, und Cocha ist keine Hure!«, schnappte ich und wich noch weiter vor ihm zurück. »Ich fürchte mich nicht vor dir, weil mein Vater dich tötet, wenn du mir ein Haar krümmst, und außerdem kenne ich auch niemanden in Montania! Gormo war nie auf Hohenheim, und du auch nicht! Alle reden über ihn und schicken ihm danach einen Boten, aber er kommt niemals selbst!«
    Kratt legte den Kopf schräg und betrachtete mich zweifelnd. Zumindest das verstand ich nur zu gut. Ich starb tausend Tode, während ich ihm und seiner Schwester gegenüberstand, die ja quasi nach einer einfachen Kosten-Nutzen-Gleichung über mein Leben stritten. Aber für mein sinnloses Gequatsche schämte ich mich trotzdem.
    »Ich, also …«, versuchte ich den Schaden meines Ansehens in seinen Augen darum gesenkten Hauptes zu begrenzen. »Ich weiß nicht, was ich von euch halten soll«, gestand ich. »Und auch nicht, was ich von meinem Vater halten soll. Ich interessiere mich nicht für Politik und auch nicht für euren Aufstand. Aber ich liebe Cocha. Und wenn du jetzt bestätigst, was deine Schwester gerade gesagt hast«, fügte ich in einem Anfall von Tapferkeit hinzu, »dann ist es mir auch egal, ob du mir das Genick brichst oder mich so zusammenfaltest, dass ich versehentlich beginne, mich selbst zu verdauen. Ich weiß, dass du das kannst. Aber wenn alles stimmt, was sie sagt, dann liegt mir ohnehin nichts mehr an meinem Leben.«
    Ohne dir zu nahe treten zu wollen: Ganz schön kindisch, findest du nicht? Übrigens muss ich nun langsam zurück hinters Steuer.
    Ich war vierzehn Jahre alt. Jetzt bin ich fast fünfzehn, aber ich fühle mich wie Mitte zwanzig. Es ist, als hätten die vergangenen Monate mich drastisch altern lassen, weißt du? Und

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