Das Mädchen aus dem Meer: Roman
Familie suchen. Und nach Cocha. Und nach deiner Familie. Und nach deiner Niedlich. Wir werden so lange nach ihnen suchen, bis wir sie in den Armen halten. Tot oder lebendig. Versprochen. Und wenn wir den Rest unseres Lebens nichts anderes tun. Und deine Götter werden uns dabei helfen.«
»Es gibt keine Götter«, erinnerte Froh sie mutlos.
»Gibt es nicht?« Chita stand auf und betrachtete ihn kopfschüttelnd von der Stirn bis zu den Zehenspitzen. »Weißt du noch, was du über das Universum gesagt hast, hm? Die Wahrscheinlichkeit, dass dort etwas existiert, das über uns und die Seelen derer wacht, die wir lieben, ist unendlich groß. Aber weißt du, was der beste Beweis dafür ist, dass es irgendwo dort oben wirklich etwas gibt, das auf dich und deine Liebsten aufpasst?«
Froh verneinte.
»Der beste Beweis ist, dass wir hier sind«, erklärte Chita. »Wir sind hier, und wir leben. Du lebst, Froh. Du hast Wochen, vielleicht Monate allein in einem lächerlichen Baumboot überlebt – auf dem offenen Meer. Hunger und Durst, Hitze und Trockenheit, Unwetter mit Blitz und Sturm und allem, was dazugehört … Nichts davon hat dich getötet. Du hast mich gerettet, und dann kam der Wal, der Götterfisch , und hat uns Dutzende Meter weit in die Luft geschleudert – erinnerst du dich? Jeder Knochen in deinem Leib hätte brechen müssen, und in meinem sowieso. Wir sind beinahe ertrunken, und dann kamen Delfine – Delfine, Froh! – und haben uns beide gerettet. Sie brachten uns zu einem Eiland, vor dem wir einen Maulbeerbaum fanden. Es hingen noch Früchte daran! Und Barrum fand uns mitten im nassen Nichts, und jetzt sind wir hier. Während du schliefst, habe ich über alles nachgedacht, weißt du? Und nun erzählst du mir, es gibt keine Götter? Das alles soll nur Zufall gewesen sein? Bloß Zufall und Glück? Das glaubst du doch selbst nicht, oder?«
Froh zuckte die Schultern. So komprimiert klang das alles tatsächlich recht fantastisch, aber nun, da die Zweifel einmal überhandgenommen hatten, ließen sie sich von ein paar hübschen Worten nicht einfach wieder verjagen. Chita hatte ja recht, aber …
Irgendetwas fehlte.
»Ich habe Durst«, sagte Froh leise.
Chita lächelte, gesellte sich wieder zu ihm und drückte ihn an sich, ehe sie den Becher erneut auffüllte. »Das heißt, ich habe dich überzeugt?«, erkundigte sie sich.
Froh verneinte. »Das heißt, dass ich durstig bin«, verbesserte er sie und nippte verhalten am kühlen, süßen, weichen, klaren Wasser. »Und vielleicht, dass ich bereit bin, mir die Welt noch ein paar Tage anzusehen, ehe ich ein endgültiges Urteil fälle.«
Das, Ivi , fügte er bitter in Gedanken hinzu, ist nun deine Prüfung. Du hast große Schuld auf dich geladen. Tue Buße. Beweise mir, dass es dich gibt. Gib mir Niedlich zurück.
»Na. Immerhin«, lobte Chita ihn erleichtert. »Dein Brot habe ich aufgegessen. Aber wir können in der Kombüse um neues bitten. Komm«, forderte sie ihn auf, klemmte sich den Stotterer unter einen Arm und zog ihn mit dem anderen auf die wackeligen Beine. »Bei dieser Gelegenheit zeige ich dir auch gleich mal das Schiff.«
29
D as hier ist ein Kriegsmani. Oben auf dem Deck wirst du eine Menge Kugelschleudern sehen, aber auch hier unten erkennt man es schon eindeutig an der Winzigkeit und der Ausstattung der Kajüten. Komfortabel ist das nicht gerade. Selbst die Handelsmanis verfügen über fließendes Süßwasser in den Schlafzellen, aber am besten beraten ist man natürlich mit einem richtigen Reisemani wie dem, das meine Familie und mich einst nach Akkaba brachte, wo mein Vater ein paar Geschäfte zu tätigen hatte. Ich glaube, ich war vier oder fünf Jahre alt, aber ich erinnere mich trotzdem noch gut an die langen Korridore, die mit Riesenwombatfellen verkleidet waren und in einen weitläufigen Salon, einen Konferenzraum, einen Speisesaal und ein halbes Dutzend wunderschöne, elfenbeinvertäfelte Schlafzellen führten. In jeder Kajüte gab es ein Bett, das so groß war, dass vier gestandene Krieger Platz darin gefunden hätten, und ich weiß noch, dass ich mir nachts so verloren darin vorkam, dass ich mir ein Nest aus Fellen und Kissen baute, um einschlafen zu können. Trotzdem war es traumhaft schön. Besonders an den Warmwasserbecken in unseren Kajüten hatten wir Kinder unsere helle Freude. Eigentlich wurde das Wasser darin täglich gewechselt, aber unsere waren oft schon am Mittag halb leer und mussten bald wieder aufgefüllt werden,
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