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Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Hohlbein
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mit ihr sprechen, aber mit ihrer Frage hatte sie ihn ganz aus dem Konzept geworfen.
    »Doch. Du hast gesagt, dann bleibt dir wohl nichts anderes übrig, als mir zu gehorchen«, versuchte Chita ihn plump zu übertölpeln. »Wegen der Götter und deiner Aufgaben.«
    »Es gibt keine Götter«, flüsterte Froh matt.
    »Natürlich nicht«, stimmte Chita ihm zu.
    Froh betrachtete das motzende Riesenküken auf dem Holzboden neben seinem Schlaflager. Sein begrenzter Verstand erlaubte es dem Tier nicht, darüber nachzudenken, warum es mit dem nackten Hintern auf dem Donner saß, den Chita die Maschinen nannte. Stattdessen verkündete es seinen schier unstillbaren Appetit, indem es das Maul so weit aufriss, dass Froh glaubte, ihm bis in den Magen sehen zu können.
    »Was hast du gerade gesagt?«, erkundigte sich Chita nach einem Moment.
    »Ich sagte: Es gibt keine Götter«, wiederholte Froh leidenschaftslos. Er wusste selbst nicht, warum er nun doch wieder mit ihr sprach. Es war müßig, ganz und gar ohne Sinn. Nichts hatte noch Sinn. Wahrscheinlich war er einfach zu gut erzogen, um ihr jegliche Konversation zu verweigern. Er hatte eine wunderbare Mutter gehabt. Sie hatte ihn nie geschlagen.
    »Was soll das denn jetzt?« Chita verströmte Verständnislosigkeit aus jeder Pore, aber so gut erzogen, nun in weit ausschweifende Erklärungen auszubrechen, war er dann doch wieder nicht. Er schloss die Augen, um den offenen Schnabel der Kreatur nicht mehr sehen zu müssen, denn es waren Sabber und Fischabfallklumpenreste darin, was widerlich war, seinen Magen aber trotzdem zu schmerzhaftem Knurren animierte.
    »Habe ich dich gebeten, mir nach dem Maul zu plappern?«, hörte er Chita schimpfen. »Das war nie Sinn der Sache, Froh. Ich wollte dir die Welt erklären. Ich wollte, dass du sie verstehst. Ich brauche keinen Lemming, der mir nach dem Mund redet. Bald habe ich ein ganzes Volk von dieser Sorte zu verantworten. Oder … Meinst du das ernst?«, schloss sie hörbar zweifelnd.
    Froh schwieg, öffnete die Augen aber wieder einen Spalt und maß sie ausdruckslos, während sie sich erneut zu ihm auf das Schlaflager setzte. Plötzlich wieder milde gestimmt, griff sie nach seiner Hand und streichelte seine vom Rudern verhornten und verkrusteten Finger.
    »Ich mag dich, Froh«, sagte sie leise. »Du bist kein Primitiver. Du brauchst keine Götter. Allein schon, wie du mir das Leben gerettet hast, war heldenhaft. Du brauchst nur dich.«
    »Es gibt diesen Vogel, weil du die Wahrheit sagst«, erklärte Froh leise. »In Wahrheit gab es die Welle. Gäbe es Götter, gäbe es keine Welle, die ganze Inseln verschlingt und sie nie wieder ausspuckt. Aber deine Welt ist verschwunden. Es gab die Welle, und Niedlich ist tot.«
    »Unsinn!«, widersprach Chita energisch. »Nicht meine Welt, nur ein paar Inseln sind verschwunden. Vielleicht sogar nur die Küste Montanias. Die Welle kann unmöglich den ganzen Kontinent verschlungen haben. Ganz sicher hat sie sich aufgelöst und auch Jama wieder freigegeben, wenn sie überhaupt dort gewesen ist. Wir haben uns nur verfahren, weil weder du noch ich etwas von Navigation verstehen. Und dein Zuhause hat sie entweder gar nicht erreicht oder bloß die Küste geflutet, denn es geht steil aufwärts von da aus. Ich sagte doch: Ihr habt Berge, auf die sich deinesgleichen bestimmt geflüchtet haben. Und deine Niedlich sowieso. Vertrau mir!«
    Froh schüttelte den Kopf. »Niedlich, mein Vater, meine Mutter, meine Schwester, meine Brüder, meine Nichten und Neffen …«, zählte er tonlos auf, aber Chita stoppte seine Auflistung, indem sie ihm den Mund zuhielt.
    »Hör auf damit! Hör auf!«, verlangte sie und klang dabei streng, wie so oft, aber auch ein wenig flehend. »So etwas darfst du nicht denken. So etwas dürfen wir nicht denken, hörst du? Ich rede und rede und rede die ganze Zeit ohne Unterlass, nur um nicht daran zu denken, was vielleicht geschehen ist. Weil ich es nicht ertragen könnte, mir vorzustellen, wie es den anderen erging, als die Welle mich von der Halbinsel spülte. Cocha, Sora, Rossa, meine Eltern, Tronto, Markannesch, Golondrin und … und …«
    Sie schüttelte den Kopf, presste für einen Moment die Lippen aufeinander und rückte dann so dicht an ihn heran, dass ihre Stirn seine Brauen berührte. »Was wir nicht wissen, ist nicht geschehen, Froh. Und was nicht passiert ist, soll uns nicht bekümmern. Nicht, bevor wir es besser wissen, in Ordnung? Wir beide, du und ich, wir werden nach meiner

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